Wiener Grätzel, Teil 2. Rund um den Hernalser Spitz stehen die Zeichen auf Revitalisierung. Langsam interessieren sich Geschäftsleute für leere Lokale. Eine triste Stimmung vermitteln die vernachlässigten Häuser.
Am Hernalser Spitz bei der Straßenbahnstation nahe dem Elterleinplatz im 17. Bezirk wimmelt es abends von Menschen, die sich auf den Heimweg in die teils renovierungsbedürftigen Häuser dieses Grätzels begeben. Einer betuchten Klientel wird man in dieser Gegend nicht auf Anhieb begegnen – dieser Bezirksteil ist für seine vielen kleinen Handy- und Friseurläden in oftmals baufälligen Bauten bekannt, deren Zustand die Einkommensverhältnisse spiegelt.
Gedränge beim Ein- und Aussteigen der Fahrgäste, die aus der Innen- in die ehemalige Vorstadt Hernals pendeln, wie Kurt Stroißer: Der 36-Jährige wohnt in der nahegelegenen Kalvarienberggasse, arbeitet im benachbarten Alsergrund als Grafiker und äußert sich zu den Bauten der Hernalser Haupt- und Jörgerstraße: „In dem ehemaligen Schloss Hernals befindet sich nun eine Bankfiliale und das Bezirksmuseum, aber das schöne Jugendstilgebäude kommt durch die Verkehrsachse nicht mehr so gut zur Geltung wie anno dazumal.“ Denn vor etwa zehn Jahren wurde der Vorplatz – in unmittelbarer Umgebung zu der Konditorei, dem Optiker sowie weiteren Kreditinstituten – mit Schutzwegen, Fahrradstreifen, einer Ampelanlage und einer neuen Stationsüberdachung ausgestattet.
Was für den einen als missglückt gilt, ist für andere praktisch: wie für die Unternehmerin Ingrid Frühwirth, die erst vor Kurzem ihr Trachtenmodengeschäft vergrößert und sich neben einem bekannten griechischen Restaurant eingemietet hat.
Die Unternehmerin ist vor sieben Jahren nach Hernals gekommen, sie blickt direkt aus der Auslage auf das vis-à-vis gelegene Dreimäderlhaus. Nach dem Gebäude – in dem die Künstler-Schwestern Fröhlich lebten – wurde sogar eine Operette benannt. „Leider wurde die Fassade durch den Feinstaub der vorbeibrausenden Autos stark in Mitleidenschaft gezogen und das Haus ließ man verfallen“, bestätigt Frühwirth den ersten Eindruck. Es fällt die helle Beleuchtung des angrenzenden medizinischen Zentrums auf, das die Gründerzeithäuser auf der Jörgerstraße vergleichsweise trist wirken lässt. Mit Plakaten verklebte Auslagen reihen sich hier aneinander: „Lokal wegen Krankheit zu verkaufen“ steht über dem Eingang einer alten Wirtsstube – Hernals galt früher als beliebtes Ausgehviertel, die verblassten Schilder über den Geschäftsportalen erinnern an die goldenen Zeiten des Bezirks in den 1950er- und 1960er-Jahren.
Alte Veranstaltungsstätten
Eine Auferstehung erlebt gerade das Etablissement Gschwandner in der Geblergasse. Von außen sieht es unspektakulär aus, nicht zu unterscheiden von seinen Nachbargebäuden. Erst im Hof hinter den Lagerräumen einer Fahrschule offenbart sich, was die Bezeichnung auf der Hinweistafel verspricht. Unmittelbar findet man sich in einem großen Saal, der im Jahr 1877 erbaut wurde, zu einem der größten Wiener „Schanksalons“ avancierte und weit über Hernals eine beliebte Vergnügungsstätte war.
Nachdem es 1960 geschlossen wurde, geriet es gebäudetechnisch in Vergessenheit. Nun wird das Kleinod mit seinem spektakulären Saalensemble revitalisiert. Reza Akhavan und Daniel Jelitzka haben die Liegenschaft erstanden und wollen sie bis Ende 2013 zu einem Veranstaltungsraum ausbauen.
Zum Vergnügen reisen bereits jetzt Kleinkunstinteressierte aus der ganzen Stadt zu einer weiteren Institution des 17. Bezirks an: in das Metropol. Der Kulturbetrieb befindet sich in einem aktuell zum Verkauf stehenden Doppelzinshaus. Dessen künftiger Eigentümer wird 23 Wohnungen sein Eigen nennen können, auch vier Geschäftslokale sind in den beiden teilweise sanierten Häusern untergebracht.
Architektonisch herausragend und eine Hernalser Institution ist das Jörgerbad – das älteste Wiener Hallenbad. Es wurde zwischen 1912 und 1914 erbaut und immer wieder technisch erneuert, das Highlight der heutigen Zeit ist eine von der Straße aus sichtbare außen liegende Rutsche.
Abbruchhäuser und ihre Anrainer
Auf der anderen Seite der stadteinwärts befahrenen Hernalser Hauptstraße wurde die historische Fassade eines zweistöckigen Hauses vor dem Abbruch bewahrt. Dahinter öffnet sich seit dem Sommer der Blick auf eine Baugrube. In Gürtelnähe entsteht – ganz typisch für diesen Bereich des 17. Bezirks – ein neuer Wohnbau mit historischer Substanz. Alte Hernalser Zinshäuser werden zunehmend revitalisiert, wie etwa in der Blumengasse, wo auf einer dreigeschoßigen Immobilie zwei Stockwerke inklusive Dachausbau errichtet werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2012)