»Schwierig einzugestehen, dass es auch auf der Gegenseite Opfer gab«

Schwierig einzugestehen dass auch
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Im »Distrikt Brčko«, wo heute wieder Serben, Kroaten und Bosniaken leben, planen die früheren Konfliktparteien ein gemeinsames Erinnerungsprojekt.

Es ist eine verschworene Runde, die sich im Keller des traditionsreichen „Hotel Posavina" eingefunden hat. 15 Menschen, Vertreter der örtlichen bosniakischen, kroatischen und serbischen Vermisstenverbände, Veteranen des Bosnienkrieges, eine Museumsexpertin, Künstler, die angereisten Mediatoren der Vereinten Nationen. Seit Stunden wälzen die Teilnehmer eine Idee, und der Seminarraum, in den kein Sonnenlicht fällt, wirkt unfreiwillig passend, denn es ist nicht sicher, ob die Welt da draußen schon bereit ist für diesen Plan.

Die Welt da draußen, das ist die Stadt Brčko samt ihrem Distrikt, eine 80.000 Einwohner zählende Kommune im Norden von Bosnien und Herzegowina. Brčko soll einen Gedenkort bekommen, wie es ihn bisher nicht gibt: einen gemeinsamen Gedächtnisort für die zivilen Opfer des Krieges, für alle Opfer. Es wäre ein Präzedenzfall in einem Land, das auch 18 Jahre nach dem Ende der Kriegshandlungen ethnisch geteilt ist.

In Brčko fließt die Save, die weiter östlich in Belgrad in die Donau mündet, direkt hinter dem Zentrum vorbei. 1892 errichteten die Habsburger hier ein Gemeindeamt, ein reich verzierter Bau im neomaurischen Stil. Auch einige andere Gebäude erinnern an von 1878 bis zum Ersten Weltkrieg dauernde Ära, als Bosnien Teil des Kaiserreichs war. Brčko war eine Handelsstadt, Güter wurden über den Fluss verschifft. Lepa Brena ist hier aufgewachsen, jene aus einer muslimischen Familie stammende Sängerin, die mit ihrem Hit „Ich bin Jugoslawin" die Pophymne des Landes schuf. 1990 war das, kurz bevor der Staat zerbrach. Die „schöne Brena" wandelte sich später zur Serbin, besuchte 1993 in Camouflage „ihre" Krieger hinter Brckos Frontlinie. Die Belagerten auf der anderen Seite haben ihr das bis heute nicht verziehen.

Bis zum Krieg lebten in Brčko Angehörige der drei Volksgruppen, muslimische Bosnier bildeten die Mehrheit, gefolgt von Serben und Kroaten; gemischte Ehen waren häufig. Am 30. April 1992 sprengten serbische Bomben zwei Brücken über die Save, der Fluchtweg ins benachbarte Kroatien war abgeschnitten. Bei der Einnahme durch serbische Verbände kam es zu Morden an Zivilisten, zwei Massengräber hat man bis jetzt gefunden, noch immer werden Menschen vermisst.

Nach dem Krieg musste im Zentrum Platz für das Totengedenken geschaffen werden. Drei Kriegerdenkmäler stehen heute in Gehweite voneinander. Ein Mahnmal aus hellem Stein gedenkt der bosniakischen Helden, ein paar Meter weiter steht das kroatische Pendant, um die Ecke werden die „serbischen Befreier" gefeiert. Die Wahrheit jeder Volksgruppe über den Krieg ist eine andere, und je nach Blickwinkel werden aus Helden Verbrecher; das Opfergedenken endet an ethnischen Trennlinien.

Dragan Popović ist Consultant für das Entwicklungsprogramm der UNO. Er ist Fachmann auf einem Gebiet, für das es in Bosnien großen Bedarf gibt: „Reconciliation", Aussöhnung. Auch er sitzt im Keller des „Posavina" bei den anderen. „Bisher gibt es nur Memorials für die Veteranen. Aber werden damit nicht womöglich auch Verbrecher geehrt?", fragt er. „Darüber müssen wir reden, wenn es um gemeinsames Gedenken geht." Für die UNO ist die Gedächtnis-Initiative von Brčko ein Pilotprojekt. Die lokalen Behörden unterstützen die Idee, und das ist äußerst ungewöhnlich im Bosnien von heute.

Es ist kein Zufall, dass die gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit hier an der Save ihren Ausgang nehmen soll. Brčko ist, wie ein US-Berater 1996 notierte, „nicht einfach eine kleine Stadt am Save-Fluss in Nordostbosnien". Im Krieg war sie hart umkämpft. Die Stadt liegt auf einem schmalen Korridor, dem „Posavina-Korridor", der den Westteil der Republika Srpska mit ihrem Ostteil verbindet. Für die serbischen Verbände, die die Stadt damals hielten, war der Korridor überlebenswichtig.

(c) Sommerbauer

Heute ist Brčko ein Sonderfall im Sonderfall Bosnien und Herzegowina: weder Teil der Föderation, noch Teil der Serbenrepublik, es verwaltet sich selbst. Über den Status von Brčko konnte man sich lange nicht einigen. Erst 1999 entschied ein spezielles Tribunal über das Schicksal des „Distrikts". Dieser Sonderstatus hat dazu geführt, dass Brčko ein „Staat im Staate" ist, wie Bürgermeister Anto Domić, ein Kroate, in seinem behutsam renovierten habsburgisch-orientalischem Domizil erklärt. Einiges läuft in Brčko besser als im Rest des Landes. Flüchtlinge sind zurückgekehrt, heute leben wieder Serben, Bosniaken und Kroaten hier. Brčkos Distrikt-Gesetz zwingt die früheren Konfliktparteien zur Zusammenarbeit. Jobs in Verwaltung und Polizei sind nach einem ethnischen Schlüssel verteilt, in der Regierung müssen Parteien der drei Ethnien zusammenarbeiten.

Sogar der Parlamentspräsident Djordja Kojić von der serbisch-nationalistischen Partei „Bund unabhängiger Sozialdemokraten" (SNSD), die auf Plakaten für „ein serbisches Haus neben dem nächsten" wirbt, präsentiert sich als Patriot. Nicht einen ethnisch motivierten Zwischenfall hätten die Polizeibehörden in den letzten zwei Jahren registriert. Brčkos Status sei „von Gott geschenkt", den Friedensvertrag von Dayton, der 1995 das Morden beendete, preist Kojić als „heiliges Wort". Von Politikern der SNSD ist man normalerweise anderes gewohnt. Auf Kojićs Schreibtisch hingegen steht unterhalb der bosnischen Fahne ein US-Wimpel, er vertreibt erfolgreich deutsche Autos, seine Tankstellenkette ist im ganzen Land tätig. Dass Lokalpolitiker das Distrikt-Modell als gelungen betrachten, hat auch mit den großzügigen finanziellen Zuwendungen zu tun, von denen sie profitieren. So sorgt etwa ein Mehrwertsteuerausgleich, der Brčko im gesamtstaatlichen Vergleich bevorteilt, für stetig gefüllte Kassen.

Unter der Oberfläche gären aber auch hier die bekannten Probleme: Schulen sind nach ethnischer Zugehörigkeit getrennt, Lokale und Lebenswelten ebenso. Politiker arbeiten zwar aufgrund des ethnischen Proporzes zusammen, versuchen aber gleichzeitig, für die eigene Klientel Budgetmittel zu sichern; das befördert Vetternwirtschaft und Korruption. Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe steht in Bosnien über politischen Ideen, das weiß Bürgermeister Domić, im Zivilberuf Mediziner, aus eigener Erfahrung. Serben und Bosniaken würden ihn zwar als Spezialisten loben, „aber nur sehr wenige geben mir bei Wahlen ihre Stimme".

(c) Sommerbauer

Im Jugendzentrum ein paar hundert Meter weiter proben serbische, kroatische und bosniakische Jugendliche ein anderes Zusammenleben. Sie sitzen im Kreis, das Thema heute sind die eigenen Fähigkeiten, es ist ein Jobtraining der lokalen NGO „Proni". Auf einer Tafel an der Wand stehen die Regeln der Gruppe: Ausreden lassen, keine Beleidigungen, Mobiltelefone „off". Mirza Lišić, ein gesprächiger Junge mit brünettem Haar und Karoschal, ist einer der Teilnehmer. Er ist wie die anderen hier auf Jobsuche, er ist 25 und lebt bei seinen Eltern. „Unangenehm" sei das, sagt er. Die Herkunft der anderen sei für ihn „kein Thema"; gleichzeitig weiß er um die prekäre Zukunft seines Landes. Er wolle gerne eine Familie gründen, hier in Brčko, sagt Lišić. „Aber ich will nicht, dass mein Kind in eine ethnische Schublade gesteckt wird."

Jasmin Jašarević, Chef von „Proni", vermisst den politischen Willen, mit dem System von Klientelismus und Völkerfeindschaft zu brechen. „Die Politik lebt zu gut davon", meint er. Um Jugendliche kümmere sich die Politik nicht, Reizthemen würden umschifft. „In jeder Community gibt es Vorurteile; eine echte Konfrontation mit dem Anderen bleibt aus." Letztendlich, so Jašarević, realisierten viele Jugendliche erst in dem Training, dass sie einen „gemeinsamen Feind" haben, der vor niemandem Halt mache. Und der heißt Arbeitslosigkeit, Korruption, Hoffnungslosigkeit. Auch Jašarević ist, so wie sein UN-Kollege Popović, ein Fachmann für „Reconciliation". Er weiß, dass Aussöhnung kein einfacher Prozess ist, sondern neue Konflikte aufwerfen kann. Dennoch ist er überzeugt: „Wir können über die Vergangenheit nicht schweigen. Die Menschen wollen darüber reden."

Nach Workshopende sitzt Dragan Popović im Café im Erdgeschoß des „Hotel Posavina". Zigarettenschwaden ziehen durch das Lokal, im Hintergrund läuft Balkanpop. Popović blickt aus dem Fenster, sein Blick fällt auf das bosniakische Kriegerdenkmal. In zwei Jahren könnte sein Projekt Ergebnisse zeigen. Die Teilnehmer haben sich als ersten Schritt darauf geeinigt, ein gemeinsames Register der getöteten und bis heute vermissten Menschen anzulegen. Denn über die Opferzahlen herrscht nach wie vor Unklarheit, und Unklarheit lädt zu Spekulationen ein. „Das Schwierigste ist immer noch, einzugestehen, dass es auch auf der Gegenseite Opfer gegeben hat", sagt Popović. „Öffentlich gibt man das nicht gerne zu."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2013)

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