Auf der Suche nach dem "König der Donau"

Stoisches Warten auf den Fang: Walentin Wojkow und Plamen Wakonow (links) haben ihr Netz in die Donau.
Stoisches Warten auf den Fang: Walentin Wojkow und Plamen Wakonow (links) haben ihr Netz in die Donau.(c) Valentina Petrowa
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Sie leben im Schwarzen Meer, doch zur Fortpflanzung schwimmen sie die Donau hinauf: Störe legen hunderte Kilometer entlang der bulgarischen und rumänischen Küste zurück. Ihre Wanderung, die sich in diesen Wochen wiederholt, ist höchst gefährlich: Die Kaviarjagd hat begonnen.

In den 1836 erschienenen „Annalen des Wiener Museums der Naturgeschichte“ steht über die Störe geschrieben: Sie seien Fische von „ansehnlicher Größe“, deren Körper von Knochenschildern bedeckt sei; es handle sich um „höchst gefräßige Thiere“, die Würmer, Weichtiere, Fischeier und Fische verspeisten. Störe seien „Wanderfische“: „Im Frühjahr ziehen sie scharenweise in die Meeresbuchten und gegen die Mündungen der Flüsse, in welche sie oft in ungeheurer Anzahl aufsteigen, um zu laichen.“ Die Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts mussten nicht reisen, um ihre Studienobjekte zu finden, denn die Störe schwammen bis nach Wien. Und so trieben sich die beiden Autoren der „Annalen“, L.J. Fitzinger und J. Heckel, auf Wiener Fischmärkten herum, wo an guten Markttagen angeblich bis zu 450 Störe verkauft wurden.

„Liebe machen“ in Wien. Doch „scharenweise“ wie im 19. Jahrhundert steigen die Störe heute nicht mehr die Donau hinauf. Es mag absurd klingen, aber die heutigen Störe sind nicht mehr so mobil wie ihre Vorfahren, die noch nach „Wien oder zumindest nach Bratislava kamen, um Liebe zu machen“, wie der rumänische Störforscher Radu Suciu sagt. Die drei in die Donau migrierenden Arten – Belugastör, Russischer Stör sowie Stellatus – sind weltweit vom Aussterben bedroht.

Nach Wien schaffen sie es schon lange nicht mehr, denn Wasserkraftwerke und andere Regulierungsobjekte behindern ihre Wanderung. Am Eisernen Tor, einem Donaukraftwerk zwischen Rumänien und Serbien mit einer 60 Meter hohen Staumauer, ist die Reise vom Schwarzen Meer nach Mitteleuropa vorzeitig zu Ende. Auch wenn sich ihre Reise dramatisch verkürzt hat (statt 1920 Flusskilometern sind es nun weniger als 860), wandern die Störe in diesen Wochen wieder. Forscher nennen dieses Verhalten „genetisches Gedächtnis“: Es ruft sie seit 200 Millionen Jahren zu den Plätzen ihrer Geburt.

Der Stör ist ein Urtier, das sich bis in unsere Zeit herübergerettet hat, und er ist „nicht sexy“, wie die rumänische WWF-Expertin Orieta Hulea zugibt. Der „König der Donau“ ist, salopp gesagt, ein altmodisches und kompliziertes Tier. Der Belugastör wird bis zu sechs Meter lang und kann 100 Jahre alt werden. Die Geschlechtsreife erreicht er erst mit 15 Jahren. Nur alle fünf Jahre ist das Belugaweibchen zur Fortpflanzung bereit. Das Risiko, dass den Stören auf der Wanderung etwas zustößt, ist groß. Neben Infrastrukturprojekten haben sie noch einen Feind: Menschen, die es auf den Schatz der Weibchen abgesehen haben. Dieser Schatz versteckt sich in ihrem Bauch, er ist proteinhaltig und besteht aus tausenden Eiern: Kaviar. Für die Gewinnung von Kaviar müssen die Donaustöre sterben. Ihr Fang ist in Rumänien und Bulgarien seit einiger Zeit verboten. Doch das Geschäft boomt.


Überfischung nach der Wende. Ein Fischerdorf an der Donaumündung, Holzhäuser stecken im Sand. Es fällt einigermaßen schwer, sich Sfântu Gheorghe als Umschlagplatz für Kaviar vorzustellen. Doch Sfântu Gheorghe ist das erste große Hindernis der Störe auf ihrer Donautour. Hier leben Rumäniens erfahrenste Störfischer. Man erzählt sich, dass hier 1905 ein Beluga von einer Tonne Gewicht gefangen wurde. Die Fangtechnik ist seit Jahrzehnten unverändert: Taue mit langen Haken, die am Flussgrund ruhen. Der Störfang hat eine lange Tradition im Donaudelta. Im Sozialismus kontrollierte der Staat den Handel. Die Fischer mussten ihren Fang abliefern, er wurde mit Helikoptern aus dem Delta geflogen. Das „schwarze Gold“ brachte dem Regime Devisen. Seit dem Fall des Sozialismus ist das Geschäft in privater Hand, die Zahl der Fischer hat sich multipliziert, eine regellose Zeit begann. „Die Menschen dachten, ihnen gehört alles, was im Fluss ist“, sagt Radu Suciu.

Suciu lebt in der Stadt Tulcea, wo die Fähren ins Delta ablegen. In seinem Büro im Donaudelta-Institut (DDNI) häufen sich Stör-Bücher und Stör-Bilder. Dieser Mann mit weißem Haar, dem der Schalk im Nacken sitzt, gilt unter Fischereibiologen als der Stör-Experte. Doch Suciu forscht nicht nur. Seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass der Störfang in Rumänien seit 2006 untersagt ist. „Wenn wir die Störe verlieren, verlieren wir Biodiversität. Er ist ein Symbol für das Funktionieren unserer Flusssysteme“, sagt er. In Rumänien wurden zwischen 2005 und 2009 fast eine halbe Million Jungstöre ausgesetzt, um die Population wieder zu erhöhen.

Doch nicht alle Initiativen verlaufen erfolgreich. Suciu erzählt gern die Geschichte vom Stör auf Schienen. Es war 2009, ein norwegisches Projekt, bei dem Störe mit Satellitensendern ausgestattet wurden. Eines Tages empfing Suciu Signale von einem Stör, der offenbar auf dem Landweg unterwegs war. Gefangen in der ukrainischen Eisenbahn. „Wir wollten doch wissen, wie und wo er sich im Meer bewegt“, ruft Suciu.

In den Hügeln hinter Tulcea liegt die Fischfarm von „Casa Caviar“. Ein abgezäuntes Areal, ein Wachhund, mehrere Außenbecken und eine unscheinbare Halle: Es ist der Gegenentwurf zur illegalen Fischerei, ein Kompromiss zwischen Artenschutz und dem Geschäftsinteresse am Kaviar. Marilena Maereanu ist Besitzerin von 10.000 Stören.

Sekundenlang sind im schlammig-grünen Wasser des Außenbeckens die Umrisse des Beluga sichtbar. Das Tier ist 2004 geboren und stammt aus eigener Reproduktion, wie Maereanu stolz anfügt. Im zweiten Becken schwänzeln kleine Stellatus-Störe umher, schwarz-weiß gemustert, mit langer, spitzer Nase. Sie werden erst in fünf Jahren verwertbar sein. „Man braucht einen langen Atem in diesem Geschäft“, sagt die freundliche 48-Jährige mit dem rötlichen Haar. Und finanzielle Mittel: Eine Million Euro hat sie seit 2000 investiert. Schön langsam fängt das Unternehmen an, Umsatz zu machen. Maereanus Verkaufspreis für ein Kilo Belugakaviar beträgt 1000 Euro; in Restaurants kosten die Fischeier dreimal so viel. Zumindest sei ihr Unternehmen krisensicher. „Die Menschen, die Kaviar essen, haben genug Geld.“ Die Hauptabnehmer von Kaviar aus Rumänien und Bulgarien sind die USA, Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Japan.

Frei von Geldsorgen. Flusskilometer 567, bulgarisches Donauufer. Belene, ein Städtchen mit offiziell 9500 Einwohnern, real dürften es weniger sein. Die Arbeitslosigkeit beträgt 20 Prozent. Die Menschen wandern ab, denn die Verdienstmöglichkeiten sind rar in der landwirtschaftlich geprägten Region. Dafür boomt die Fischerei, wie Bürgermeister Petar Dulew erklärt. „Die Menschen fischen, um zu überleben.“

Verborgen zwischen Weiden liegt die Fischersiedlung Hisarlak. Wohncontainer auf Eisenstelzen, Lagerfeuerplätze, vertäute Boote. Hier interessiert nicht die Politik im fernen Sofia, sondern welcher Fisch ins Netz gegangen ist. Plamen Wakinow, 49, fährt zwei Mal täglich hinaus auf den Fluss. Sein Freund Walentin Wojkow hilft ihm dabei. Ein paar hundert Meter flussaufwärts lässt Wakinow das Nylonnetz langsam aus seinen Händen gleiten, 160 Meter insgesamt. Dann steht es waagrecht im Fluss, an einem Ende stabilisiert von einer Boje und Gewicht, am anderen Ende hält Wojkow, ein Mann mit krausem Grauhaar, das Netz in seinen Händen. Es ist eine unsichtbare, heimtückische Falle für die Fische, die mehrere hundert Meter im Fluss treibt. Dann holen die Freunde das Netz wieder ein, zurück ans Ufer. Der Fang besteht aus kleinen Fischen, Karpfen, Barbe, Hecht. Kein „König der Donau“. „Wenn ein Stör ins Netz geht, kann es gefährlich werden“, sagt Wakinow. Denn der Stör ist stark.

In seinem Fischerdomizil hat Wakinow, Schnauzbart, Strickpulli, Jogginghose, ein Bild von einem denkwürdigen Fang an die Wand gepinnt. 2005 war das, 68 Kilo hatte das Tier, ein Männchen, ein Tier fast so groß wie er. Für einen Fischer ein unvergessliches Erlebnis. Eine Initiation, ein Ritterschlag für Fischer, wenn es so etwas gäbe, und darüber hinaus die Befreiung von den allgegenwärtigen Geldsorgen.

Deals auf dem Schwarzmarkt. Auch Ibrjam Tschatmaliew erinnert sich an jeden Stör in seinem Leben. Zwölf waren es seit 1990, sieben davon Weibchen. „Bei den ersten Stören war es ein großes Gefühl, jetzt ist es vor allem eine Freude über das Geld“, sagt Tschatmaliew, ein Mann wie ein Bär, mit Dreitagebart und Wollmütze. Breitbeinig steht Tschatmaliew da, als suche er auch auf dem Festland noch die Balance, die im Boot lebenswichtig ist. Seit 2011 ist der Störfang auch in Bulgarien verboten. „Wenn ich einen Beluga erwische, wie könnte ich ihn freilassen?“, fragt Tschatmaliew. Er hat zwei Töchter, sie sollen studieren. Die Einhaltung des Gesetzes klingt in seinen Worten wie ein Verbrechen. Oder zumindest wie eine große Dummheit. „Niemand lässt einen Beluga laufen“, sagt er überzeugt.

Eine einfache Rechnung erklärt, warum Freilassen für die Mehrheit keine Option ist – und warum Artenschützer in beiden Ländern einen steinigen Weg vor sich haben: Ein Fünftel des Gewichts eines weiblichen Störs ist Kaviar. Ein Stör mit 200 Kilo bringt 40 Kilo Kaviar. Fischer verkaufen die Fischeier zu einem Kilopreis von etwa 400 bis 500 Euro, das ist doppelt so viel wie ein monatliches Durchschnittsgehalt. Kaviar finanziert Ausbildungen, Autos, ganze Häuser. Von seiner Beute kostet Tschatmaliew höchstens ein Löffelchen.

Die Ware an den richtigen Mann zu bringen ist die wahre Meisterschaft. Eine risikoreiche Meisterschaft, schließlich muss das Gesetz gebrochen und der Kaviar am Schwarzmarkt verkauft werden. Der Fischer wendet sich an Mittelsmänner, die die kostbaren Eier an Nobelrestaurants in der Hauptstadt, an begüterte Privatkunden oder Kaviarhändler verkaufen. Der Kaviar wird in Gläschen abgefüllt, in Kühltaschen verstaut, übergeben. Der Fischer kehrt mit einer Tasche voller Geld heim, früher waren darin Dollar, heute sind es Euro.

In der EU wurden zwischen 2002 und 2007 über sieben Tonnen illegalen Kaviars konfisziert. Doch eine klare Grenze zwischen illegalem und legalem Handel zu ziehen, fällt schwer. Eine Studie des WWF Österreich von 2011 legt nahe, dass auch Fischfarmen in „Etikettenschwindel“ verstrickt sein könnten: Mittels Genanalysen ließ sich feststellen, dass in Bulgarien Wildkaviar aus dem kaspischen Meer als Farmkaviar vermarktet, also „gewaschen“ worden war. Aussagen von Fischern zufolge existiert diese Praxis auch mit bulgarischem Wildkaviar.

In diesen Wochen wiederholt sich die Wanderung der Störe; 100 bis 200 Belugastöre dürften unterwegs sein. Die Laichplätze der Weibchen liegen in zehn Metern Tiefe. Ihre Eier lassen sie zwischen Steine fallen, wo sie geschützt sind vor natürlichen Feinden. Nach ein paar Wochen ist der Panzer der kleinen Störe so hart, dass ihnen andere Flussbewohner nichts mehr anhaben können. Das ist der Zeitpunkt, an dem ihr wahrer Überlebenskampf beginnt.

Fakten

8,4Tonnen Belugastör
wurden nach offiziellen Angaben 2005 in Rumänien gefangen. 2002 waren es noch 21,3 Tonnen – ein Rückgang um 60 Prozent. Ähnlich drastisch ist der Rückgang bei Stellatus und Russischem Stör.

2015Bis dahin gilt das Moratorium für den Fang von Donaustören. Es wurde in Rumänien 2006, in Bulgarien 2011 erlassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2013)

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