Intensivstation: Seelische Wiederbelebung durch Musik

(c) Tucek
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Das „Medikament“ Musik hilft auch schwer kranken Patienten, psychisch wie körperlich.

Machen Sie etwas, dass es unseren Patienten mit Musik besser geht“, sagte der Chef (Univ.-Prof. Dr. Christoph Zielinski) eines Tages zu Univ.-Prof. Dr. Klaus Laczika. Der stellvertretende ärztliche Leiter der Intensivstation an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin I, selbst begeisterter Klavierspieler, leitete dann in die Wege, wovon Patienten an der Intensivstation sehr profitieren: Musiktherapie am Intensivbett, bei der Patient und Therapeut in eine intensive Beziehung treten.

Patienten profitieren doppelt

Die schwer kranken Menschen profitieren doppelt: seelisch und körperlich. Körperlich: Der Patient wird ruhiger, entspannter und kann die medizinische Behandlung besser aufnehmen. „Mittels Stressforschungstechnologie haben wir herausgefunden, dass es zwischen Patienten und Musiktherapeuten zu einer Synchronisation der lebenswichtigen Herzfrequenz-Variabilität kommt“, vermerkt Laczika, der das Ergebnis dieser Studie erstmals auf dem Kongress Mozart & Science (Näheres: Heilsame Töne, auch gegen Tinnitus) vorstellen wird.

„Ich bin ja kein Politiker“

Patienten auf der Intensivstation haben meist eine eher starre Herzfrequenz-Variabilität (unser Herz ändert sein Tempo fast mit jedem Schlag, der Abstand zwischen den Schlägen ist niemals völlig gleich und wird als Herzfrequenz-Variabilität oder Herzraten-Variabilität bezeichnet, kurz HRV). Das Herz von Intensivpatienten schlägt wie eine Maschine: schnell, regelmäßig, schwankungsfrei – ein zu gleichmäßiger Herzschlag aber stellt einen Risikofaktor dar. „Während der Therapie wird die HRV der Patienten dynamischer, sie kommt wieder in Schwung und passt sich der des Therapeuten an“, betont Laczika, In dieser Zeit – so der Mediziner – ginge es den Betroffenen nachweislich besser.

Nur in dieser Zeit? „Wir haben noch keine Langzeitergebnisse, ob das anhält. Es wäre ein Wunschtraum, aber ich will nichts behaupten und versprechen, was ich nicht beweisen kann, ich bin ja kein Politiker“, sagt Laczika.

Freude ist hier nicht vorgesehen

Die Musiktherapie wird derzeit zweimal wöchentlich durchgeführt und soll demnächst auf dreimal aufgestockt werden. Wünschenswert wäre tägliche Therapie. „Wir haben das ins Auge gefasst“, so Laczika. Denn tägliche Musikstunden könnten aller Voraussicht nach dazu führen, dass Betroffene schneller genesen, die Intensivstation rascher verlassen können. „Das ist die ökonomische Seite, die den Spitalserhalter interessieren muss.“

Die seelische Seite für den Patienten: „Er empfindet Freude“, weiß Laczika. Eine sterile Intensivstation sei nun einmal kein Wohlfühlort, da werde medizinisch zwar korrekt gepflegt und behandelt, aber die Freude sei hier nicht vorgesehen. „Patienten, die lange hier sind, haben Angst, haben sich oft seelisch aufgegeben.“

Endlich wieder ein Individuum

Die Musiktherapie holt viele aus diesem psychischen Tief, gibt ihnen wieder Lebensmut, Lebensfreude. Und sie gibt ihnen noch etwas: Aus der Klassifizierung nach Defekt, „der Herzinfarkt“, „das Leberversagen“, wird wieder der Mensch, „der pensionierte Fotograf“, „der gestresste Manager“. Der Patient, so Laczika, werde endlich wieder ein Individuum. Und er erlange auch wieder einen Hauch von Autonomie: Er kann selbstbestimmt ja oder nein sagen, er kann die Musiktherapie annehmen oder ablehnen. „Alle werden vorher gefragt, keiner wird zwangsbeglückt.“

„Doch die meisten Patienten sind glücklich, wenn man sich ihnen ganz widmet, wenn man nur für sie auf der Harfe oder Gitarre spielt, wenn sie eingeladen werden, mitzusingen, mitzusummen oder an der Harfe zu zupfen“, schildert Mag. Dr. Gerhard Tucek, Kulturwissenschaftler und Musiktherapeut, der die Therapiestunden am AKH Wien mit Studenten der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien durchführt.

Ein kleines Stück Intimität

Der medizinische Input kommt von von Laczika: „Ich bin kein Musiktherapeut, ich verdanke das Projekt meiner Mentorin Univ.-Prof. Dr. Gertraud Berka-Schmid, ich kann nur sagen, wie man mit kritisch Kranken umgeht.“ Musiktherapie, so Tucek, bedeute für den Patienten ein kleines Stück Intimität auf einer Intensivstation, die geprägt sei von Stress, Lärm und Apparaturen.

„Im Rahmen musiktherapeutischer Studien haben wir herausgefunden, dass Wachkomapatienten bis zu einem gewissen Grad orientiert sind, dass sie nicht wahrnehmungslos sind, dass ihre scheinbar sinnlosen Bewegungen sehr wohl eine Bedeutung haben“, betont Tucek. „Diese Patienten fühlen, spüren, leiden, haben Angst, können das aber nicht zeigen.“

Gezeigt hat sich indes auf Intensivstationen, wie Laczika abschließend erzählt: „Wir haben zig Male den Tod abgewendet, haben viele Menschen ins Leben zurückgeholt, sie wiederbelebt, aber diese geistige und seelische Wiederbelebung von Patienten habe ich erst durch die Musiktherapie erlebt.“

AUF EINEN BLICK

Das „Medikament“ Musik ist in vielen Bereichen erfolgreich – von Depressionen über Schlafstörungen bis zum Einsatz an der Intensivstation. In Österreich wurde heuer ein Musiktherapiegesetz beschlossen.

Die wichtigsten Forscher aus aller Welt treffen sich im November in Wien zum Kongress „Mozart & Science“. Ein Schwerpunkt: medizinische Anwendung von Musik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2008)

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