Seelengefängnis: Verbitterung als Krankheitsherd

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Wer nicht vergeben kann, mauert sich selbst einen psychischen Kerker. Letztlich ist Versöhnung oder Unversöhnlichkeit eine Frage der eigenen Entscheidung.

Es darf kränken, wenn einem gekündigt wird. Es tut weh, wenn einen der Partner verlässt. Es darf durchaus verärgern, wenn der weniger Fähige Karriere macht, während man selbst stehen bleibt. Es verletzt, wenn ein guter Freund einen belügt. Es darf wütend machen, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Verletzt werden wir alle irgendwann, manche öfter, manche seltener.

Manche können damit umgehen, gar nicht so wenige landen im Käfig der Verbitterung. Und das tut erst recht weh, raubt Lebensfreude und Energie, macht letztendlich krank. „Diese Menschen kommen nicht weg von dem negativen Erlebnis, sie jammern und klagen. Der Chef, der Partner, der Freund ist schuld, dass es ihnen so schlecht geht. Sie verbohren sich in ihr Leid und fühlen sich dabei gar nicht wohl. Aus dem ständigen Hadern mit dem widerfahrenen Schicksal können sich lang anhaltende psychische Krankheiten entwickeln“, schildert der Wiener Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe Dr. Raphael Bonelli, der sich seit geraumer Zeit dem Thema Verbitterung widmet und am letzten Samstag die Fachtagung „Verletzung – Verbitterung – Vergebung“ mitorganisiert hat.

Zerstörerische Emotion

Verbitterung respektive der vom deutschen Psychotherapeuten und Psychiater Univ.-Prof. Dr. Michael Linden 2003 eingeführte Begriff der posttraumatischen Verbitterungsstörung ist also eine junge Wissenschaft der Psychotherapie. „Obwohl Verbitterung eine eindrucksvollere und vor allem auch zerstörerischere Emotion ist als Depression oder Angst, gibt es bislang noch vergleichsweise wenig Forschung darüber“, sagt Bonelli.

Hingegen, so der Wiener Experte, werde vor allem in den USA sehr viel zum Thema Unversöhnlichkeit geforscht. „Und da gibt es sehr viele Parallelen zur Verbitterung, weil das eine viel mit dem anderen zu tun hat. Bei meinen verbitterten Patienten sehe ich oft viel Unversöhnlichkeit, die den Betroffenen oft gar nicht bewusst ist.“

Derjenige, der nicht vergeben kann, mauert sich damit selbst eine Art Seelengefängnis. „Indem er stets einem anderen die Schuld an seinem Zustand gibt, drängt er sich selbst in die Rolle des handlungsunfähigen Opfers.“ Verbitterung bedeute auch, in eine Opferrolle zu schlüpfen und sein Leben tatenlos von diesem Unglück abhängig zu machen.

Wenn man immer nur darüber nachgrüble, wer aller wie gemein zu einem war, würde man nie damit fertig. Seelische Wunden könnten so nicht verheilen, würden stets aufs Neue aufgerissen und sich mit der Zeit nur noch vergrößern. Wer sich Kränkungen immer wieder in Erinnerung ruft, blutet ewig. Wenn man solchen Menschen aber widerspiegeln könne, dass Versöhnung oder Unversöhnlichkeit eine Frage der eigenen Entscheidung ist, sei schon oft viel geholfen, erwähnt der Experte.

Ohne Hilfe jedoch könne der Traumatisierte immer tiefer in den Strudel aus Vorwürfen, Unglücklichsein und Verbitterung geraten. „Verbitterte entwickeln mit der Zeit eine immer größere Empfindlichkeit. In der Extremform finden sie jedes und alles gegen sich selbst gerichtet und leiden sehr.“

Innere und äußere Erstarrung

Die physischen Folgen des psychischen Leids sind noch relativ wenig untersucht, dürften aber jenen einer Depression ähneln; also Rückzug, Isolation, Vernachlässigung der eigenen Gesundheit mit all den negativen Folgen – von Alkoholismus über Fettleibigkeit bis Herzinfarkt. Eine weitere negative praktische Folge: Der Gekündigte sucht keinen neuen Arbeitsplatz, die Verlassene verharrt in ihren Vorwürfen gegenüber dem „bösen“ Partner und bleibt alleine, verliert allmählich den Boden unter den Füßen. Solchermaßen kann Verbitterung zur inneren und äußeren Erstarrung führen. „Je narzisstischer ein Mensch ist, desto verletzbarer ist er, desto stärker ist die Gefahr, dass er in der Sackgasse Verbitterung landet.“

Gefahr Großstadt

Auch die Großstadt birgt irgendwie eine Gefahr in sich. Bonelli: „Im anonymen Lebensstil einer Großstadt sind Menschen weitaus verletzlicher als in einem stabilen sozialen Umfeld, wie es am Land häufig noch vorhanden ist.“ Heraushelfen kann unter anderem professionelle Hilfe durch Psychotherapie. Linden nennt es „Weisheitstherapie“ (Unterform der Verhaltenstherapie; es geht dabei auch um Perspektivenwechsel, Verständnis der Situation des „Täters“, Relativierung der Subjektivität).

Bonelli setzt zudem gerne die systemische Therapie ein. „Wenn sich der Klient darauf wirklich einlässt, kann er in drei bis zwölf Monaten geheilt sein.“ Wichtig, so Bonelli, sei dabei auch, Unveränderliches zu akzeptieren und nach vorne zu blicken anstatt in der Vergangenheit zu wühlen und in der Schuldzuweisung-Maschinerie zu versteinern. „Sonst bleibt man ewiger Verlierer und Glücklichsein ein Fremdwort.“ Und wer wollte das schon?

AUF EINEN BLICK

Kränkungen erlebt jeder von uns – gar nicht so wenige können damit nicht umgehen und landen im Käfig der Verbitterung.

■Aus dem ständigen Hadern mit dem Schicksal können sich lang anhaltende psychische Leiden, aber auch physische Krankheiten entwickeln.

■Manche finden nicht mehr von selbst aus der Sackgasse Verbitterung heraus – da bedarf es professioneller Unterstützung. Psychotherapie kann helfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2009)

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