Der Wasserreichtum des Landes sorgt für Spannungen in Nahost. Syrien und der Irak klagen, dass Ankara ihnen mit großen Stauwerken an Euphrat und Tigris das Wasser abgrabe.
Turgut Özal (1927–93) war ein Mann der klaren Worte. Als türkischer Staatspräsident Anfang der 1990er wusste er, wie eng Ressourcen und Macht in Nahost zusammenhängen. Und so prägte er einen Satz, der die Nachbarn der Türkei bis heute misstrauisch werden lässt: „Wir schreiben den Arabern nicht vor, was sie mit ihrem Öl anstellen sollen. Deshalb lassen wir uns von ihnen auch nicht vorschreiben, was wir mit unserem Wasser machen.“
Was die Türkei mit ihrem Wasser macht, hat jedoch durchaus internationale Folgen. Das Land, in dem die Ströme Euphrat und Tigris entspringen, hat nicht nur relativ großen Wasserreichtum, seine Geografie verleiht ihm auch gewisse Macht über die Nachbarn Syrien und Irak stromabwärts. Schon jetzt sieht sich Ankara dem Vorwurf ausgesetzt, diese Macht zu ungunsten dieser und anderer Länder der Region einzusetzen.
Verlustmenge: Bodensee mal drei
Neue Messungen, die den sinkenden Wasservorrat dieser Flusssysteme belegen, könnten Vorboten neuer Krisen sein: Eine Studie unter Mitarbeit der Nasa weist einen starken Rückgang der Wasservorräte nach. Demnach beträgt der Verlust im Einzugsgebiet von Euphrat und Tigris in den vergangenen zehn Jahren 144 Kubikkilometer – das heißt, dass seit 2003 fast die dreifache Wassermenge des Bodensees verschwunden ist.
Nun ist für mehr als die Hälfte des Minus Raubbau am Grundwasser durch Bewässerungs- und Trinkwasserbrunnen in allen betroffenen Ländern verantwortlich, sagen die Forscher. Doch fließen Euphrat und Tigris an ihren Oberläufen in der Türkei auch längst nicht mehr in ihren alten Flussbetten: Mit einem fast fertigen Netzwerk von 22 Staudämmen greift die Türkei in das Flusssystem ein und muss sich anhören, den Nachbarn den Hahn abzudrehen.
Erst kürzlich warf etwa der irakische Abgeordnete Karim Elewi der Türkei vor, so viel Wasser zurückzuhalten, dass die Landwirtschaft des Irak schweren Schaden nehme, die Türkei nutze ihre Geografie für politische Zwecke. Damit spielte er aufs gespannte Verhältnis zwischen Ankara und Bagdad an, das die Türkei schon als Feind sieht.
Wasser als Waffe?
Die Türkei dementiert wasserbasierte Machtspiele. In einem Grundsatzpapier zur Wasserpolitik erklärte das Außenamt zudem, dass die mittlere Wassermenge des Tigris zur Hälfte aus Zuflüssen im Irak stamme; wenn Bagdad über sinkende Pegel klage, müsse es die Schuld bei sich selbst suchen. Tatsächlich zählte die Nasa-Studie rund 1000 neue Brunnen im Irak.
Die Türkei betont, dass sie selbst im Verhältnis zu Syrien, wo Ankara den Sturz von Präsident Bashar al-Assad anstrebt, auf Strafaktionen beim Wasser verzichte. Es gebe keine Pläne, die Durchflussmenge des Euphrat zu verringern, man wolle ja das syrische Volk nicht leiden lassen. Risken für die Wasserversorgung kommen eher aus dem türkischen Wirtschaftsboom und just aus der Hoffnung auf Frieden im türkischen Kurdengebiet. Die Dämme des „Südostanatolien-Projekts“ (GAP) sollen nämlich bald 1,7 Millionen Hektar Land bewässern und pro Jahr 27 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen. Die Region soll ein agrarisches Exportzentrum werden.
Wenn Frieden Konflikte schürt
Nun hat der Krieg zwischen der Türkei und den Kurdenrebellen der PKK diese Pläne an der vollen Entfaltung gehindert. Doch nun, da die PKK Frieden anbietet, könnte dies den Streit ums Wasser verschärfen: Denn nun könnte GAP voll durchstarten und einen Wirtschaftsaufschwung in Südostanatolien mitbefeuern, was steigenden Wasserverbrauch bedeutet. In Syrien und im Irak würde es noch trockener.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2013)