Climategate, nächste Folge: Greenpeace schrieb mit

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Der Uno-Klimabeirat IPCC ließ die Umweltlobbyisten und die Wasserkraftindustrie an einem Energiebericht mitschreiben. Das IPCC schöpft auch aus der „grauer Literatur“, deren Gehalt niemand geprüft hat.

Eineinhalb Jahre ist es her, seit die Autorität des Uno-Klimabeirats IPCC rascher schmolz als das Gletschereis des Himalaya durch die Erderwärmung. Zunächst hatten Hacker E-Mails von IPCC-Mitgliedern publiziert, die den Verdacht weckten, missliebige Daten – und Klimatologen mit abweichender Meinung – würden unterdrückt. Die Medien nannten das „Climategate“; es wuchs sich aus, als es kurz darauf wirklich um die Gletscher des Himalaya ging. Bis 2035 seien sie weg, stand im vierten IPCC-Bericht, es war völliger Unfug. Bald fanden sich weitere Fehler, sie zeigten Strukturdefizite und ein Zentralproblem: Das IPCC schöpft nicht nur aus seriösen wissenschaftlichen Quellen, sondern auch aus „grauer Literatur“, deren Gehalt niemand geprüft hat.

Grobe Abwehrversuche von IPCC-Chef Rajendra Pachauri verschlimmerten die Situation, die Politik schaltete sich ein: Das IPCC möge sich reformieren. Das tat es, es beschloss unter anderem eine Unvereinbarkeit. Wissenschaftler, die beim IPCC mitarbeiten – dafür gibt es keine Entlohnung – dürfen im Hauptberuf keine konfligierenden Interessen haben, also etwa nicht bei der Ölindustrie beschäftigt sein.

Natürlich auch nicht bei Greenpeace. Aber just diese Umweltlobby schrieb bei der letzten IPCC-Publikation mit – ohne ausgewiesen zu werden – und bezog sich sich zudem auf eine hauseigene Quelle. Am 9. Juni verlautbarte das IPCC, dass „nahezu 80 Prozent des Weltenergiebedarfs bis zur Jahrhundertmitte mit erneuerbaren Energien gedeckt werden könnten“. Das stand in einer Pressemitteilung, die einen Bericht zusammenfasste, der 164 publizierte Energie-Szenarien für das Jahr 2050 verglichen – und vier ausgewählt hatte. Im Durchschnitt sahen sahen die Szenarien 2050 27 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen strömen, ein Ausreißer nach oben kam auf 77 Prozent (unter der optimistischen Annahme, der Weltenergiebedarf werde bis 2050 sinken).

Greenpeace hier, Greenpeace da

Mit verfasst hatte diese Studie Sven Teske, Greenpeace. Der war auch Mitglied der IPCC-Arbeitsgruppe, die die 164 Szenarien durchgemustert und die vier ausgewählt hatte. Das von Greenpeace war dabei. Klimawandel-Skeptiker kamen dem Ganzen auf die Spur und nannten den IPCC-Bericht „Greenpeace-Propaganda“. Teske sah darin eine „krude Verschwörungstheorie“ und verwies darauf, dass auch Vertreter anderer Interessengruppen für den IPCC tätig sind. Das erwies sich als richtig: Am Kapitel über Wasserkraft im IPCC-Bericht schrieben Vertreter der einschlägigen Industrie mit.

„Shot with its own gun“, kommentiert Nature so erbost wie besorgt: „Das IPCC muss aufhören, dem Gegner die Munition auf der silbernen Platte zu überreichen“ (474, S.541). Die Munition sitzt über den Anlass hinaus wieder in den Strukturen: Die laut verkündete Unvereinbarkeit gilt noch gar nicht, zumindest nicht für die, die am nächsten IPCC-Bericht arbeiten, 2014 kommt er. Ihnen gegenüber wäre es „unfair, retrospektiv Regeln anzuwenden“, erklärte Pachauri. „Das ist unakzeptabel“, entgegnet Nature.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2011)

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