Mein Höhepunkt des Seelenstriptease

(c) EPA (Leszek Szymañski)
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Ich weiß, wo Sie gerade sind.

Dazu muss ich nicht einmal Günther Platter sein, der Ihnen mit der Kamera folgt oder Ihr elektronisches Postfach durchforstet. Nein, im Normalfall reicht es mir schon, Ihre Stimme zu hören. „Ich bin in der Straßenbahn“ ist ja mittlerweile der Beginn schon fast jeder Konversation per Mobiltelefon. Auch die restlichen kleinen Details aus Ihrem Leben muss ich mir gar nicht erst mühsam zusammensuchen, sondern bekomme sie als Hörspiel tagtäglich frei Haus geliefert. Nicht, dass mich das sehr interessieren würde, aber von mir aus.

Nun ist unfreiwilliges Mithören eine Sache. Eine andere ist die, dass man geradezu danach lechzt, derartige Statusmeldungen permanent zu empfangen. Und so wie der Voyeurismus den Exhibitionismus braucht, um als Gegensatzpaar existieren zu können, fehlt es auch nicht an Menschen, die eine Erfüllung darin sehen, laufend mitzuteilen, wo sie gerade sind und was sie tun. Dass im Internet schon das passende Werkzeug für derartige permanente Banalkommunikation existiert, verwundert nicht. „Twitter“ (englisch für „Geschnatter“) heißt der Dienst, mit dem ein User jedermann ständig mitteilen kann, ob er gerade Nietzsche liest (unwahrscheinlich), an einer Käsekrainer knabbert (schon eher) oder seinem Hamster den Bauch massiert (Bingo) – auf genau 140 Zeichen. Und das nicht nur per Mail sondern auch aufs Handy. Juhu, permanenter Seelenstriptease. Dumm nur, dass so jeglicher Reiz verloren geht, der dem Entblättern des Innersten sonst innewohnt. Schließlich bietet der Blick auf das sonst Verborgene nur eine Anhäufung von Belanglosigkeiten, die nur mehr die Frage offen lassen, wann „Twitter.com“ von Google, Microsoft & Co gekauft wird – scheint ja ein Geschäftsmodell zu sein. Und, nur falls es jemanden interessiert, ich gehe jetzt.


erich.kocina@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2008)

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