Die letzte Zuflucht des Versagers

(c) AP (Jens Meyer)
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Mein grüner Daumen entspricht eher einer langsamen Form von aktiver Sterbehilfe.

Ich gestehe, ich habe eine Pflanze zu Hause. Nur eine, die ist von Ikea und nicht umzubringen. Seit fast fünf Monaten steht sie im Wohnzimmer. Und ist immer noch grün. Das ist nicht selbstverständlich, ist mein grüner Daumen doch sonst eher eine Form von aktiver Sterbehilfe. Ich erinnere mich an meinen ersten kleinen grünen Kaktus (nein, er stand nicht draußen am Balkon. Und hollari, hollari, hollaro war er schon gar nicht!), den ich Tag für Tag so liebevoll goss, bis er von innen her zu verfaulen begann.

Alle weiteren Vorstöße in die Welt der Flora lassen sich am besten mit den Worten von Samuel Beckett beschreiben: „Immer wieder versucht, immer wieder gescheitert. Nochmals versucht, besser gescheitert.“ Mit Schrecken denken manche Freunde zurück, deren Küchenkräuter ich für ein paar Tage beaufsichtigen musste – und die nachher eher an einen brennenden Dornbusch erinnerten. Fast schien sich bei mir ein alter Spruch von Homer Simpson zu bestätigen: Der Versuch ist der Beginn des Versagens.

Umso erstaunlicher ist es, dass mein Sitznachbar in der Redaktion den ansehnlichen Urwald, den er auf seinem Fensterbrett angelegt hat, während seines Urlaubs gerade mir zur Pflege anvertraut. Weiß er es nicht besser? Oder will er die wuchernden Chlorophyllschleudern nur elegant loswerden, um wieder durch das Fenster sehen zu können? Wie auch immer– Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagers, und so werde ich Tag für Tag mit Hektolitern von Wasser durch das Ressort stampfen, Bäume und Kakteen zärtlich streicheln und sie am Abend in den Schlaf wiegen. Dass ich dabei den Brian-May-Song „Too Much Love Will Kill You“ pfeife, sollte Sie nicht beunruhigen, das hat keine tiefere Bedeutung. Bestimmt nicht.


erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2009)

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