Elektrisch beschleunigte Rücksichtslosigkeit

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Jeden Morgen, auf dem Weg zur Arbeit, sehe ich sie hier in Brüssel die steile Chaussée de Vleurgat hinunterrasen.

Jeden Morgen, auf dem Weg zur Arbeit, sehe ich sie hier in Brüssel die steile Chaussée de Vleurgat hinunterrasen: Herren im fortgeschrittenen Alter des mittleren Managements, Anzug, Krawatte, der Kopf unbehelmt, die Ohren dafür verkopfhörert, das Kinn stolz in den Fahrtwind gereckt, Spielbein und Standbein auf dem schmalen Trittbrettchen eines Elektrorollers. Ich frage mich mittlerweile nicht mehr, wie diese Chauffeure des Zeitgeists bremsen oder ausweichen wollen, wenn ihnen ein Kind oder ein Kinderwagen in die Flugbahn gerät. Ich frage mich nur mehr, wann es ein solches Unglück gibt und welche Art von Wehklagen dann angestimmt werden dürfte: jene über den unvorsichtigen kleinen Buben oder die gedankenlose Mutter, die halt, bitt' schön, besser hätten aufpassen sollen, bevor sie sich in die Schusslinie des Elektroroller-Herrenreiters gewagt haben. Oder jene über die E-Scooter-Trottelei, die in unseren Städten um sich greift und das Benützen von Gehsteigen und Zebrastreifen noch ein Stück gefährlicher macht, als es dies durch gedankenlose Autofahrer und rüpelige Radler ohnehin schon ist.

Um empörten Zuschriften vorzugreifen: Nein, natürlich ist nicht jeder Benutzer eines Elektrorollers ein Depp. Es ist auch nicht jeder Autofahrer gedankenlos und nicht jeder Radler ein Rüpel. Doch mit jeder technologisch ermöglichten Beschleunigung unserer Fortbewegung werden Achtlosigkeit und Risikolaune aufgerüstet. Wer gehend nicht auf seine Umwelt achtet, rennt schlimmstenfalls in ein Verkehrsschild oder rempelt einen Zeitgenossen um. Wer das, elektrisch beschleunigt, mit gut 50 km/h tut, riskiert nicht nur, selbst zum Organspender zu werden.

Kann man diese Unerfreulichkeit einhegen? Die Straßenverkehrsregeln geben überall vor, wie man sich auf dem Elektroroller zu verhalten hat. Nützt's? Ich zweifle. Brauchen wir wirklich Führerscheinpflicht für diese kindischen Vehikel, um wenigstens die gefährlichsten Verhaltensweisen einzudämmen?

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2018)

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