Chemische Düfte

Die lieben Nachbarn.
Die lieben Nachbarn.(c) Clemens Fabry
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„Entschuldigung“, sagt die Nachbarin, nachdem sie mich im Treppenhaus aufgehalten hat, „ich wollte Ihnen nur sagen: Wir stinken nicht.“

„Entschuldigung“, sagt die Nachbarin, nachdem sie mich im Treppenhaus aufgehalten hat, „ich wollte Ihnen nur sagen: Wir stinken nicht.“ Sie trägt einen neonfarbenen Morgenmantel, hat einen Edding-Stift in der Hand sowie ein Stück Papier, ich hingegen trage ein obskures Ensemble aus Pyjama, Funktionskleidung und türkischen Hausschlapfen – und so stehen wir im Stiegenhaus herum wie von Loriot konzipiert. Aber weil ich gerade auch den Müll runtertrage, glaube ich, die Nachbarin greift meinen Hausrat an, und es entfährt mir ein verärgertes „Wie bitte?“, worauf sie aufklärt: „Hier riecht es seit Tagen chemisch, aber das kommt nicht von uns!“ Ich sage ihr, dass ich gegen Chemie-Düfte jeglicher Art ebenfalls opponieren würde, und in den darauffolgenden Minuten gehen wir alle uns bekannten Nachbarn durch, die auf diesen Geruch passen könnten. Wir einigen uns auf den Mann im dritten Stock; ich möchte wirklich nicht oberflächlich sein, aber der sieht irgendwie so aus, als hätte er ein gutes Verhältnis zu Quecksilber. „Das Paar bei mir gegenüber streitet oft so laut“, eröffne ich ein neues Jammer-Kapitel, sie beschwert sich über den Professor im Dachgeschoß, der nie grüßen würde, und schließlich verabschieden wir uns feierlich nach dieser herzlichen Lästerei. Als ich vom Müllraum zurückkehre, hat sie das Stück Papier auf ihre Türe geklebt, darauf steht: „DER GESTANK KOMMT NICHT VON UNS!“

Die lieben Nachbarn. Früher wohnte ich in einer Wohnung mit einer Studenten-WG nebenan, und die hat circa ein Mal im Monat die wildeste Feierwut gepackt. An Schlaf war da nicht zu denken, eingeladen haben sie mich gemeinerweise auch nie. Irgendwann ist irgendwas mit dieser WG passiert: Zwar gingen die Feste temperamentvoll weiter, aber am nächsten Tag hatte das gesamte Stockwerk eine Flasche Wein vor der Wohnungstür. Und weil Blaufränkisch ein akzeptables Zahlungsmittel ist, haben wir auch nicht mehr so oft die Polizei gerufen. So ging das ein, zwei Jahre lang weiter bis zum Magistertitel, dann hörte der Wahnsinn abrupt auf. Seither kaufe ich meinen Wein auch selbst.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2019)

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