Das souveränste Miststück der Welt – ein Nachruf

Holzkonstruktion, 68 Meter hoch: das Rinter-Zelt.
Holzkonstruktion, 68 Meter hoch: das Rinter-Zelt.(c) wf
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Aus einer Zeit gefallen, deren Teil es vielleicht nie gewesen war: zum Abriss des Rinter-Zelts.

Vom Objekt der Erregung zum Vorzeigestück führt hierorts ja des Öfteren ein erstaunlich kurzer Weg. Die Wiener Staatsoper? „Ein Königgrätz der Baukunst.“ Das Secessionsgebäude: eine „assyrische Bedürfnisanstalt“. So sahen Zeitgenossen hiesige Bauwerke, die heute in keinem Reiseführer fehlen.

Zu Reiseführer-Ehren hat's das Gebäude, von dem hier berichtet werden soll, kaum je gebracht, wiewohl die Erregung rund um seine Errichtung einst ausreichend groß war. Freilich nicht irgendwelcher Gestaltungsfragen wegen, sondern aus Gründen mangelnder Funktionalität, hatten die Müllsortieranlagen von Recycling International, besser bekannt unter dem Kürzel Rinter, doch bei Weitem nicht das gehalten, was ihr Initiator der Stadt Wien versprochen hatte: nämlich die Wiederaufbereitung „nahezu des gesamten angelieferten Mülls“.

Die Rinter AG scheiterte, das für sie geschaffene Gebäude blieb in Recycling-Diensten der Stadt Wien. Und zwar – trotz mehrmaliger Umbenennungsversuche – weiterhin als „Rinter-Zelt“: 68 Meter hoch, 175 Meter im Durchmesser, außen Aluminium, innen spektakuläre Holzkonstruktion. Ein markanter Orientierungspunkt an der Peripherie – selbstbewusstes Zeichen dafür, wo die Stadt schon lang zu Ende war und die Unstadt des Speckgürtels begonnen hatte. Und seiner Form nach gewiss das souveränste Miststück der Welt.

Traurig, wie es sich dieser Tage präsentiert: jeder Funktion entledigt, die Flanke aufgerissen. Zu teuer in der Erhaltung, zu unflexibel, so die zuständige Magistratsabteilung zu ihrem Abrissbeschluss. Ein Signalbau, aus einer Zeit gefallen, deren Teil er vielleicht nie gewesen war. Die Signale, die setzt heute ja auch nicht mehr ein allgemeiner Nutzen, sondern partikulares Immobilieninvestorenglück. Beispiel gleich nebenan: die Türme des Citygates. Das Rote Wien des 21. Jahrhunderts.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2019)

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