„Zweisprachiger Unterricht kurbelt die Bildungsmobilität an“

Türkisch wird in Österreich nicht wertgeschätzt, sagt die Integrationsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger. Was ein Grund dafür sei, dass sich Türken kaum für ihre Sprache begeistern könnten.

Die Presse: Immer mehr Österreicher lernen Türkisch. Sprachzentren im ganzen Land verzeichnen bei Anfängerkursen einen regelrechten Nachfrage-Boom. Türken hingegen zeigen kaum Interesse daran, ihre Muttersprache zu verbessern. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Barbara Herzog-Punzenberger: Das ist auf mindestens zwei Gründe zurückzuführen. Zum einen: In der Türkei gibt es zahlreiche Minderheitensprachen wie beispielsweise Kurdisch, Armenisch und Assyrisch. Sprachen, die dort nicht gefördert wurden. Teilweise war es sogar verboten, sie zu sprechen oder zu unterrichten. Was dazu geführt hat, dass bei den betroffenen Volksgruppen das Prestige der türkischen Sprache gelitten hat und sie jetzt gegenüber einer Sprache, die ihnen in ihrer Heimat aufgezwungen wurde, keine große Sympathie zeigen. Und in Österreich leben viele Menschen aus diesen Volksgruppen. Wie viele genau, ist schwer zu ermitteln.

Hinzu kommt, dass das Ansehen der türkischen Sprache auch in Österreich nicht allzu hoch ist.

Das ist der zweite Grund. Türkisch wird in Österreich nicht wertgeschätzt, die Sprache immer noch sehr stark mit der schlecht ausgebildeten Gastarbeitergeneration in Verbindung gebracht. Die Folge ist eine enorme Abwertung der Sprache – auch bei der türkischen Bevölkerung. Vorstellungen, denen viele Türken, die mit Hochkultur und Hochsprache nicht viel zu tun haben, aufgrund ihres Bildungsstandes wenig entgegenhalten können. Beispielsweise, indem sie namhafte türkische Philosophen, Dichter und Literaten anführen.

Weil sie nicht jemanden anführen können, den sie nicht kennen.

Genau. Stattdessen reagieren darauf viele mit überhöhtem Nationalismus.

Wie gut sprechen Türken in Österreich eigentlich ihre Muttersprache?

Das ist schwer zu sagen, da es dazu keine Studien gibt. Was aber wünschenswert wäre. Grundsätzlich korreliert die Sprachkompetenz stark mit dem Bildungsgrad. Die Tendenz ist jedenfalls: Je höher die Bildung, desto besser die sprachlichen Fähigkeiten. Das ist aber nicht zwangsläufig und immer so. Einen starken Zusammenhang gibt es auch zur Anzahl der Bücher zu Hause. Was unter anderem von den finanziellen Möglichkeiten einer Familie abhängt. Der Zusammenhang zwischen sprachlichen Fähigkeiten der Kinder und dem Bildungsgrad der Eltern ist aber nicht in allen Ländern so deutlich wie in Österreich. In Kanada etwa gelingt es der Schule besser, die Kinder unabhängig vom elterlichen Hintergrund zu fördern. Während der Anteil der erfolgreichen unter den benachteiligten Schülern in Kanada 40 Prozent ausmacht, erreicht er in Österreich gerade einmal die 20-Prozent-Marke.

Halten Sie Unterricht, der in österreichischen Schulen in Deutsch und in Türkisch abgehalten wird, grundsätzlich für förderlich?

Ja. Zweisprachiger Unterricht kurbelt besonders in Gruppen mit einer vergleichsweise kleinen Mittelschicht wie der türkischen Gemeinde in Österreich die Bildungsmobilität an. Außerdem wäre es ein Zeichen an die türkische Bevölkerung, dass ihre Sprache gefördert und wertgeschätzt wird. Denn zweisprachiger Unterricht scheitert oft am Widerstand türkischer Eltern, die Unterricht in Deutsch und Türkisch für eine Abwertung der Klasse, der gesamten Schule und schließlich auch des Abschlusses halten. Sie haben Angst davor, dass ihre Kinder in diesem Fall nicht gut genug Deutsch lernen. kb

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2013)

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