Die protestierenden Asylwerber erkennen, dass der Rechtsstaat nicht diskutiert. Das bedeutet nicht, dass er sich nicht bewegen kann. Man wolle der Republik Österreich nun zehn Tage Zeit geben.
Wien. Der seit Mitte Dezember andauernde Hungerstreik mehrerer Flüchtlinge, die sich seither in der Wiener Votivkirche aufhalten, ist seit Dienstagabend beendet. Oder wie sie es selbst formulieren: unterbrochen. Man wolle der Republik Österreich nun zehn Tage Zeit geben, ihrerseits einen Schritt auf die Aktivisten zuzugehen und noch einmal über den Katalog ihrer Forderungen nachzudenken.
Wer die verfahrene Situation nun mit Distanz betrachtet, müsste eigentlich zu folgendem Schluss kommen: Die Gruppe, die beherzt und – aus ihrer Sicht nur verständlich – mit fast allen Mitteln für ein besseres Leben kämpft, befindet sich seit dem Beginn des freiwilligen Nahrungsverzichts in der Sackgasse. Die bedauernswerten, manchmal auch ergreifenden Schicksale Einzelner begründen im Rechtsstaat, auch wenn sie gehäuft aufzutreten scheinen, keine Ausnahmen von der Regel.
Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet mag das zynisch klingen. Es ist ein Grundsatz, der in den teils massiv unter Korruption leidenden Herkunftsstaaten – und damit wohl auch unter den Betroffenen selbst – weitgehend unbekannt ist, hierzulande aber für das Funktionieren des Systems sorgt. Das ist eine Lektion, die die bis zuletzt Hungernden erst lernen mussten.
Bereits Anfang Jänner lud Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mehrere Asylwerber zu einem Gespräch ein, im Ton freundlich, in der Sache hart. Schon damals hieß es unmissverständlich: Es gibt nichts zu verhandeln, weitere Gespräche werde es nicht geben.
Keine Verhandlungen mehr
Prompt kam am Mittwoch aus dem Innenressort auch die Absage in Richtung der eisigen Votivkirche: Trotz des Endes des Hungerstreiks gebe es nichts mehr zu sagen, die Betroffenen mögen sich bitte in die geheizten, von Bund, Land und Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellten Quartiere begeben. Ende der Durchsage.
Das große Problem des für das Asylwesen zuständigen Ressorts ist es, den bei Eiseskälte ausharrenden Asylwerbern zu erklären, dass ihre Forderung nach einer praktisch unbeschränkten Zuwanderung nach Österreich mehr Probleme schaffen als lösen würde. Und das im Umfeld eines Themas, in dem fast alle Beteiligten eher weltanschaulich denn rational argumentieren. Ein Dialog auf Augenhöhe war in Wahrheit nie möglich.
Im teils sehr emotional, manchmal auch untergriffig geführten öffentlichen Schlagabtausch zwischen Unterstützern und Gegnern der Hungerstreikenden ging ein zentraler Punkt völlig unter. Die österreichischen Gesetze zum Asylwesen sind rein formal deutlich besser als ihr Ruf. Allerdings gibt es in ihrer Umsetzung noch viele Möglichkeiten zur Verbesserung.
Hier schließt sich der Kreis zu den Forderungen. Denn tatsächlich haben die Aktivisten mit ihrer Aktion schon einiges erreicht – und zwar ohne dass dafür auf Zuruf Gesetze geändert werden mussten. Auch wenn Mikl-Leitner dagegen ist: Im Parlament wollen sich SPÖ und ÖVP über eine generelle Arbeitserlaubnis für Asylwerber zumindest unterhalten. Die Verbesserungen von Missständen bei Sprachkursen und Unterbringung wurde ebenfalls schon öffentlich zugesagt. Der Druck der Asylhelfer wird dafür sorgen, dass diese Ankündigungen auch umgesetzt werden. Sollte der Hungerstreik – wie angekündigt – am 1.Februar fortgesetzt werden, hat das Innenministerium sogar noch Spielraum: Die fremdenpolizeilichen Verfahren von Asylwerbern mit rechtskräftig negativen Bescheiden könnten – statt sie wie bisher häufig zu verschleppen – künftig zügig abgewickelt werden. Ohne Änderung der Gesetze. Für Abzuschiebende brächte das Klarheit, für die anderen eine befristete Duldung und damit Grundversorgung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2013)