Das Ende der ÖBB-Rotkappen

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Ende oeBBRotkappen(c) APA (Barbara Gindl)
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Kaum ein Beruf hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark gewandelt wie jener der Fahrdienstleiter. Einst ist ihr Dienstort der Bahnsteig gewesen – heute sind es Computerräume.

Es gibt Berufe, die einem erst dann bewusst auffallen, wenn einmal etwas richtig, richtig schiefgeht. Zum Beispiel, wenn im Wiener Frühverkehr zwei S-Bahn-Züge aufeinanderprallen, wie es am Montag – Folge: 41 zum Teil schwer Verletzte – passiert ist.

In der bisherigen Aufarbeitung des Unglücks – der endgültige Bericht der ÖBB-Unfallkommission steht ebenso noch aus wie das Ermittlungsergebnis der Polizei – stellte sich heraus, dass nach einer technischen Störung der Zugverkehr auf dem betroffenen Streckenabschnitt manuell geleitet werden musste; und in diesem manuellen Betrieb kam es zu einem Fehler.

Mit dem Zwischenfall ist ein Beruf ins Rampenlicht gerückt, der sich in den vergangenen Jahrzehnten durch technologischen Fortschritt und interne Restrukturierungen im Eisenbahnwesen gewandelt hat wie kaum ein zweiter: der des Fahrdienstleiters.

Routinierte Bahnfahrer denken dabei noch an uniformierte ÖBB-Beamte mit der charakteristischen roten Kappe, die bei jedem Zug, der ihren Bahnhof passierte, auf den Bahnsteig traten, kurz dem Lokführer zunickten und gleich wieder im Gebäude verschwanden, um den nächsten Bahnhof von der Ankunft des Zuges zu informieren.


Systemüberwacher. Heute sieht das anders aus: Die Uniform ist Geschichte, das Telefon braucht der Fahrdienstleiter nur im Notfall, und der Bahnsteig ist weit, weit weg von der Betriebsleitzentrale im vierten Stock eines schmucklosen Bürogebäudes in der Laxenburger Straße, schräg gegenüber dem neuen Hauptbahnhof. Großteils junge Männer stehen hier in einem düsteren, geräumigen Bürosaal vor jeweils einem Dutzend Bildschirmen, auf denen sich komplexe Muster abzeichnen.

Es ist eine Szenerie, wie man sie eher auf der Kommandobrücke eines Raumschiffes vermuten würde als in einem ÖBB-Komplex. Aber von der Betriebszentrale und der zwei Stockwerke darüber gelegenen Verkehrsleitzentrale aus überwachen die Fahrdienstleiter der Infrastruktur-Tochter des Konzerns den gesamten Zugverkehr in der Ostregion Österreichs.

Sobald beispielsweise ein Zug an der ungarischen Grenze in das österreichische Schienennetz eintritt, scheint er auf einem der Schirme hier in der Laxenburger Straße auf – ist er wie angekündigt zusammengestellt, ist er pünktlich, wo ist sein Ziel, usw. Auf seinem Weg über die österreichische Schienenstruktur ist jeweils immer ein Fahrdienstleiter für ihn zuständig – dafür, dass die Weichen auf seinem Weg zum Zielbahnhof richtig gestellt sind; dafür, ob er einen anderen Zug überholen darf, um Verspätungen aufzuholen; dafür, dass der Lokführer in seinem Cockpit stets weiß, wann er bremsen, wann beschleunigen muss.

Im besten Fall geht das komplett automatisch – der Computer registriert das Eintreffen des Zuges, gibt die Signale zum Stellen der Weichen und übergibt den Zug dann an das nächste Kontrollzentrum. Erst, wenn ein Problem auftaucht oder etwa entschieden werden muss, ob nun ein verspäteter Railjet oder doch der planmäßige Regionalzug zuerst in einen Bahnhof einfahren darf, muss der Mensch eingreifen. Auch die Anzeigen und Lautsprecherdurchsagen auf den Bahnsteigen werden von den Kontrollzentren aus gesteuert – weiß man hier doch ganz genau, ob und wie viel Verspätung jeder Zug haben wird.

„Der Beruf des Fahrdienstleiters hat sich gewandelt“, sagt Norbert Pausch, Leiter des Netzbetriebes der ÖBB. „Früher waren Fahrdienstleiter in den einzelnen Bahnhöfen dafür verantwortlich, rechtzeitig die Signale oder Weichen zu stellen – heute haben sie die Hubschrauberperspektive über einen ganzen Streckenabschnitt, eine überwachende Funktion.“

Pausch, einst selbst Fahrdienstleiter, verantwortet seit 2005 einen Zentralisierungsprozess, der die Arbeit der Fahrdienstleiter konzentrieren soll. In den vergangenen Jahrzehnten habe es drei große Veränderungen im Berufsbild gegeben, sagt der 54-Jährige: In den 1980er-Jahren hat die ÖBB begonnen, elektrische Weichen einzusetzen – statt per Hebel jede einzelne Weiche zu stellen, ging das nun per Knopfdruck. In den 1990ern begann man, elektronische Stellwerke zu verwenden – und damit Fern- und Computersteuerung von ganzen Streckenabschnitten einzuführen. Damit fing die erste Zentralisierung der Fahrdienstleitungen an: Statt an jedem einzelnen Bahnhof konnten ganze Streckenabschnitte von einem regionalen Zentrum aus gesteuert werden.

Seit 2005 läuft nun das Projekt, die Fahrdienstleitung an fünf Standorten zu konzentrieren: In Wien, Salzburg, Innsbruck und Villach sind die Betriebszentralen bereits in Betrieb, in Linz soll heuer die letzte aktiviert werden. Zur vollständigen Umsetzung wird es aber noch bis 2026 dauern – die für die volle Zentralisierung nötige Technik wird nämlich erst dann ersetzt, wenn die Vorgängertechnologie eines Abschnittes am Ende ihrer Nutzungsdauer angekommen ist.

In 13 Jahren soll dann der Betrieb aller Hauptstrecken in Österreich von diesen fünf Zentralen aus überwacht werden – Fahrdienstleiter wird es dann keine mehr auf den Bahnhöfen geben. Schon seit 2005 ist die Zahl der Mitarbeiter im Netzbetrieb durch die Modernisierung von 4550 auf 3170 zurückgegangen. „Die roten Kapperl verschwinden“, sagt Pausch.

In Zahlen

6500Züge sind täglich im österreichischen Schienennetz unterwegs.

15.000Weichen und 28.000 Signale sorgen auf rund 5000 Kilometern Schiene für Ordnung.

5Betriebszentralen übernehmen bis 2026 nach und nach die Leitung der Züge von den Fahrdienstleitern, die auf den Bahnhöfen Dienst machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2013)

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