Drogensubstitution: Proteststurm gegen Mikl-Leitner

APA/HERBERT P. OCZERET
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Landesgesundheitsreferenten, Experten und der Gesundheitsminister üben heftige Kritik am Wunsch der Innenministerin, von der Drogenersatztherapie abzurücken.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ist nach Aussagen über ein gewünschtes Abrücken von der Drogensubstitutionstherapie für Opiatabhängige seit Mittwoch in einen wahren Proteststurm geraten. Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ), Landesgesundheitsreferenten und Experten verurteilten am Donnerstag praktisch unisono diesen Vorstoß. Stöger: "Suchtkranke gehören zum Arzt, nicht zur Polizei."

In Österreich sind derzeit fast 17.000 Opiatabhängige in Substitutionstherapie. Seit 1987 wurden zumindest fast 26.000 Menschen einmal behandelt. Es geht dabei um Schadensverhütung (HIV-Infektionen etc., Drogentod), Hilfe beim Ausstieg aus der Drogenkriminalität, soziale Stabilisierung und medizinische Betreuung. In Europa sind schon mehr als 700.000 Patienten in Therapie - Tendenz steigend. Die Behandlungsform mit Ersatz der illegalen Drogen durch vom Arzt verschriebene Substanzen wie Methadon, Buprenorphin, retardierte Morphine etc. gilt als Behandlungsstandard.

Politik "auf dem Rücken von Suchtkranken"

Der Vorschlag Mikl-Leitners lege die Vermutung nahe, dass hier Politik "auf dem Rücken von Suchtkranken" gemacht werden solle; das sei "nicht akzeptabel", so Stöger. Die Ministerin stellte im "Ö1"-Mittagsjournal am Donnerstag schließlich fest, man solle aber darüber diskutieren, ob nicht mehr Begleitung und Therapie und weniger Substitution zielführend wäre.

Auf Bundesebene erklärte man im Justizministerium, man warte vorerst ab. "Ich sehe für den Strafvollzug keinen Bedarf, unser Verhalten zu ändern", erklärte Strafvollzugsdirektor Peter Prechtl (Justizministerium). Die auch im Gefängnis durchgeführte Behandlung reduziere illegalen Drogenkonsum und Gesundheitsgefahren. Der Oberste Sanitätsrat bezeichnete die Therapie als "geeignetste und international etablierte Form der Behandlung." "Hier wird vor den Wahlen billiges Kleingeld für konservatives Klientel gemacht", kritisierte der Grüne Gesundheits- und Wissenschaftssprecher Kurt Grünewald.

Breite Ablehnung aus den Ländern

Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) hält den Vorstoß der VP-Ministerin, die für Fragen der medizinischen Behandlung in Österreich nicht zuständig ist, für "verantwortungslos". Der Kärntner Landesgesundheitsreferent Peter Kaiser (SPÖ) sagte: "Das ist wohl mehr der populistische Versuch, eine Schlagzeile zu ergattern, denn verantwortungsvolle Politik."

Der Vorarlberger Gesundheitslandesrat Christian Bernhard (ÖVP) hält die Drogenersatztherapie "generell für eine gute Sache". Retardierte Morphine sollten allerdings nur bei sehr genauer Indikation eingesetzt werden. Salzburgs Gesundheitsreferent Walter Steidl (SPÖ) sieht "überhaupt keinen Anlass" für eine Änderung der Strategie.

Experte: "Versachlichung hilft"

"Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, die Drogensubstitutionstherapie zu reduzieren. Ganz im Gegenteil, man sollte sie in Österreich ausbauen. In Wien haben wir eine Deckungsquote von 75 Prozent bei den infrage kommenden Patienten. Österreichweit liegt sie bei maximal 50 Prozent, zum Teil deutlich darunter", sagte am Donnerstag der Wiener Arzt und Drogenexperte Hans Haltmayer (Ambulatorium der Suchthilfe Wien). Der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, Max Wellan, meinte zur Drogensubstitutionstherapie: "Das ist sinnvoll. Das zahlt sich aus."

"Versachlichung hilft den Patienten, Verpolitisierung ist schlecht für die Betroffenen", meinte schließlich der Wiener Drogenbeauftragte und Arzt Alexander David. Er hatte gemeinsam mit dem Psychiater Otto Presslich von der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien im Jahr 1987 die ersten Patienten behandelt. Die Resozialisierungshilfe für Straffällige, Neustart, befürchtet bei einem Abgehen von der Behandlungsstrategie ein Ansteigen der Beschaffungskriminalität.

(APA)

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