Weshalb sich die Kombination von Soldat und Sandsack während des Hochwassers bewährt. Und ausgerechnet Wiens Kanalsystem nicht.
Ist die Geschichte ein schlechter Lehrmeister? Lassen sich aus dem Hochwasser der vergangenen Wochen Schlüsse ziehen? Ja? Und welche Fehlschlüsse werden dabei gezogen?
1Die Politik hat ihren spielerischen Umgang doch nicht ganz verlernt. Selbst wenn es um scheinbar so harte Materien wie das Budget geht.
Politik und ORF – eine schier unendliche Geschichte. Ob das mehrmalige Erwähnen der Spielräume im Budget, die von den Spitzen der Republik im Zusammenhang mit Hilfe für Hochwasseropfer genannt wurden, eine Anspielung auf die Ö1-Sendung dieses Namens war? Charaktere im Rang Werner Faymanns und abwärts pflegen wochentags um 17.30 Uhr nicht Musik im Radio zu hören. Wir aber lernen (wieder einmal): Die Zahlen des Budgets sind nur scheinbar in, wie man gern formuliert, Stein gemeißelt. Der Staatshaushalt ist eher auf Sand gebaut. Womit der Übergang zum nächsten Punkt erfolgt.
2Hochtechnologie, nein danke? Ein Teil der Antike kehrt wieder: der Sandsack.
Eigentlich ist er während der vergangenen Jahrhunderte ja nie wirklich verschwunden, der Sandsack. Schon in der Antike wurde er verwendet, um sich vor Wasser zu schützen – oder Bogenschützen. Auch der Einsatz beim notdürftigen Reparieren von Befestigungsmauern ist überliefert. Und heute, da funktioniert der Hochwasserschutz natürlich auch mit avancierteren Materialien, siehe mobile Wasserschutzdämme aus Metall. Aber eben auch der Sandsack ist stets dabei. Bewährt beim Bewehren eben.
3Wo sind sie? Wo sind die Soldaten nur geblieben? Geht es also auch ohne das Bundesheer?
Wo bleibt das Bundesheer? So fragt das eine oder andere Medium. Und so hat ein Anrufer in der „Presse“ gefragt – hoffentlich nicht als direkte Nebenwirkung medialen Fremdgehens. Denn die Frage ist trivial zu beantworten: Das Bundesheer befindet sich natürlich im Hochwassereinsatz – auch wenn das nicht alle von ihrem Schreibtisch im Trockenen aus zu sehen vermögen. 3000 Soldaten waren mit Stand Freitag mobilisiert, die Hälfte davon in Niederösterreich. Und: Es stimmt, im Jahr 2002 waren zu Spitzenzeiten mehr als 11.000 Soldaten mit Hubschraubern, Bergepanzern, Kranwagen und Schaufeln an der Wasserfront. Da wurden aber auch größere Flächen unter Wasser gesetzt. Bisher sind eben offenbar nicht mehr Soldaten benötigt worden. Denn das Bundesheer marschiert nicht in einem x-beliebigen Ort ein, um zu helfen. Es muss auf die offizielle Anforderung durch die zivilen Behörden warten. So wie das während Friedenszeiten in entwickelteren Demokratien eben üblich ist.
4Die besten Prognosen werden im Nachhinein erstellt.
Knapp daneben ist auch daneben. Sind Hydrologen und Spezialisten verwandter Fächer die neuen Meinungsforscher? Dieses Mal hatten sie besondere Mühe, die Höhe der Pegelstände zu prognostizieren. Ein Fluss ist an sich ja in jeder Hinsicht schwer berechenbar. Vieles ist bei Ereignissen wie zuletzt im Wortsinn im Fluss: Das Volumen der Verschiebungen von Geröll an der Flusssohle kann bei Hochwasser nur geschätzt werden. Und im Übrigen: Schuld sind die Deutschen. Dort sind Messstellen der Wasserhöhe ausgefallen.
5An alle Wiener: Vergesst die Donau! Die wahre Gefahr droht von ganz anderer Seite. Sie kommt aus dem Kanal.
Manchmal gelingt ja der Wiener SPÖ ein Coup. Einer, der für Jahrzehnte Bestand hat und heute unumstritten ist. Es war nicht unriskant (parteipolitisch, finanziell) 1972 den Bau des 210 Meter breiten und 21 Kilometer langen Entlastungsgerinnes plus Donauinsel zu beginnen. Heute droht den Wienern die „Gefahr“ von unten. Die wahre Achillesferse ist das Kanalsystem der Stadt, wie wir in den vergangenen Tagen gelernt haben. Verrückt? Aber von dort hat Grundwasser den Zubringer zur A4 unter der Stadionbrücke geflutet und für Staus im Straßenverkehr gesorgt. Es ist der Stadtverwaltung zuzutrauen, diese Schwachstelle für künftige Fluten zu beseitigen. Oder nebenan wenigstens einen trockenen Radweg anzulegen. Egal, ob grün oder rot eingefärbt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2013)