„Wer braucht das Weltkulturerbe?“

Doppel-Interview. Neumann & Steiner (Wien-Mitte) kritisieren Unesco.

WIEN. Letztendlich hat Heinz Neumann sein Ziel doch erreicht. Wien-Mitte wird gebaut – wenn auch in abgeschwächter Form mit nur einem Turm. Zum Jahreswechsel 2007/2008 sollen die Bagger rollen – der renommierte Architekt ist mit Partner Eric Steiner im Geschäft bei der Milliarden-Euro-Überbauung des Bahnhofs Wien-Mitte mit einem Büro- und Geschäftszentrum.

Wuchtiger als der Erstentwurf

Während die Feierlichkeiten für den Spatenstich vorbereitet werden, fordern Neumann und Steiner weniger Einfluss für die Hüter des Weltkulturerbes, also für die Unesco. „Wien ist eine kulturbewusste Stadt. Sie sollte selbst wissen was sie zu tun hat“, erklärt Neumann der „Presse“. Wien als Kulturhauptstadt müsse sich nichts von der Unesco vorschreiben lassen: „Wien kann selbst planen und hat das bewiesen. Eine kulturbewusste Stadt weiß, was sie zu tun hat.“ Nachsatz: „Und wer braucht das Weltkulturerbe?“ Dass Wien-Mitte nach jahrelangem Hick-Hack gebaut wird, sollte Neumann zufrieden stimmen. Tut es aber nicht.

Der Grund: Wien-Mitte ist massiver und wuchtiger ausgefallen als jener Entwurf, den Neumann beim ersten Architektur-Wettbewerb im Jahr 1990 eingereicht hatte. Damit bekommen die Wiener heute nicht nur einen massiveren Baublock als in Neumanns ersten Entwurf – die Erneuerung des heruntergekommenen Bahnhofs Wien-Mitte hat sich um fast 20 Jahre verschoben.

Der Unterschied der (vom Konzept identischen) Entwürfe: Blockhöhe 26 Meter (heute: 36 Meter); Turmhöhe 120 Meter (heute: 70 Meter). Für einen niedrigeren Turm habe sich die Wettbewerbs-Jury einen wuchtigen Baukörper eingehandelt, erklärt Neumann. Durch die schlanke Bauweise hätten die 100 bis 120 Meter die Umgebung weniger dominiert als die Erhöhung des gesamten Wien-Mitte-Blocks um fast 50 Prozent. Dazu hätte es einen großen Platz an der Landstraßer Hauptstraße gegeben, der jetzt gestrichen sei.

Hätten Denn der erste Entwurf Neumanns wurde 1990 abgelehnt. Zu Gunsten einer Zwölf-Türme-Projekts, „von dem klar war, dass es als Gleis-Überbauung nicht realisierbar ist.“ Er kritisiert vor allem Architekten-Kollege Gustav Peichl, der den ersten Entwurf blockiert haben soll; auch wegen der Turm-Höhe. Neumann: „Und dann wird am Handelskai, wo es nur flach ist, ein 176 Meter-Turm gebaut – von Peichl. Die ganze Silhouette ist zerstört worden.“

Paris habe diesen Fehler nur einmal gemacht. In Wien gebe es mehrere solcher Fälle: „Die Stadt hat sich aus der Verantwortung zurückgezogen“, meint Steiner. Ist die Gestaltung nicht die Aufgabe der Architekten, welche die Verantwortung für die vereinzelt in Wien stehen „Spargel“ tragen? Neumann: „Dass Architekten die Linie vorgeben, wie so oft behauptet, stimmt nicht.“ Steiner: „Die Wirklichkeit wird von anderen gestaltet. Nicht von uns.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2007)

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