Per U-Bahn durch die Leopoldstadt

(c) GEPA (Guenter Artinger)
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Die Eröffnung von fünf neuen U2-Stationen ermöglicht die komfortable Fahrt zu – mehr oder wenig bekannten – Sehenswürdigkeiten.

Der 10. Mai markiert jenen Tag, an dem Fußballfans nicht mehr mühsam mit der Straßenbahn ins Ernst-Happel-Stadion fahren müssen. Erstens, weil es die Straßenbahnlinie 21 ab diesem Tag nicht mehr gibt, zweitens, weil die U2-Verlängerung vom Schottenring zum Stadion eröffnet wird. Die Zeit, die der Fan durch die schnellere Verbindung nun einspart, könnte er unter anderem mit ein bisschen Sightseeing ausfüllen. Zu sehen gibt es an den fünf neuen Stationen genug – kaum etwas davon steht in einem Reiseführer.
Plastikhubschrauber und Stofffrösche gehören zu den ersten Eindrücken, die sich dem Besucher bei der Station Taborstraße bieten – sofern sie nicht gleich in Richtung Augarten abbiegen oder abends im Keller des Bricks verschwinden. Ramschläden haben große Teile der Einkaufsstraße in der Hand – neben den verklebten Scheiben leer stehender Geschäfte. Wenig einladend wirkt auch die Umgebung des zweiten Ausgangs in der Novaragasse – das Sonnenstudio Jamaica Sun steht schon länger leer, wie die Patina an der Fassade nahe legt. Direkt gegenüber dem Eingang signalisiert das Cafe U2 mit Lichterketten in Eiszapfenform, dass man die U-Bahn schon förmlich herbei sehnt. So wie damals auf der Mariahilfer Straße, die wegen der vielen qualitativ wenig hochwertigen Bekleidungsgeschäfte in ungarischer Hand auch „Magyarhilfer Straße“ genannt worden war. Dort ging es mit der Eröffnung der U3 ja auch wieder bergauf.
Aus dem Verkehrsknotenpunkt ist mit dem Einzug der U2 ein fast schon gordischer Verkehrsknoten geworden. Viele Möglichkeiten, noch eine weitere Ebene einzuziehen, gibt es jetzt wohl nicht mehr. Immerhin, der alte und verdreckte Bahnhof Wien Nord ist einer Bahnhofshalle mit dem Charme einer Bahnhofshalle gewichen: Dazu gehören spiegelndes Glas an den Fassaden, kostenpflichtige Toiletten mit Schiebetüren, die erst beim Einwurf einer Münze zur Seite gleiten und Geschäfte, deren Sortiment unter Reiseproviant fällt. Der Tourist weiß also, woran er ist – hier wird ein-, aus- und umgestiegen. Mehr nicht. Unter anderem gibt es dafür sogar einen „Kiss & Ride“-Bereich. Erst beim Verlassen des Stationsbereichs wird es interessant. Eine Aida auf der Praterstraße für die Älteren, das containerartige Lokal Fluc für die Jüngeren und ein paar Schritte weiter der Prater für die ganz Jungen. Und beim Blick auf das pseudotraditionell gehaltene neue Eingangsportal weiß man den kühlen Charme der Bahnhofshalle auf einmal ein bisschen zu schätzen.


Die Ausstellungsstraße als trennendes Element zwischen Tradition und Moderne erlebt der Fahrgast, der die Station Messe verlässt. Während auf der linken Seite stadtauswärts die Fassaden und Vorgärten der alten – und etwas angestaubten – Bürgerhäuser einen Rest des alten Wien zeigen, steht das von Gustav Peichl gebaute Messezentrum mit dem charakteristischen Turm für einen der jüngsten Vertreter (der Turm, nicht der Architekt) des modernen Wien. Wie verwirrend es in der Moderne zugehen kann, bemerkt der Besucher, der vor dem Gasthaus Zur grünen Hütte steht – und sich wundert, warum die Fassade dann in hellbraun-gelb gehalten ist. Aus dem Boden vor dem Messezentrum ragen wie aus einem Dampfschiff Belüftungsschächte aus der darunter liegenden Tiefgarage. Ein einziges Bauwerk durchbricht den modernen Anschein – ein Backsteinhaus, das als letzter Monolith der Vergangenheit neben dem Messezentrum steht. Darin befindet sich übrigens eine Polizeidienststelle.
Auf dem Weg in Richtung Stadion erlebt der zu früh ausgestiegene Fußballfan auch hier das Aufeinandertreffen von alt und neu. In den Glasscheiben entlang der U-Bahn-Station spiegelt sich das rote Wien mit einem Gemeindebau, der für die Bauzeit 1930/31 erstaunlich schmucklos wirkt – von den Balkons mit ihren grünen Windfängen vielleicht abgesehen. Auf der anderen Seite der Station wartet die Moderne, wartet der Würstelstand-Kiosk-Hybrid „Igel“, dessen Spitzen in der Nacht leuchten. Dahinter zeichnen sich immer deutlicher die Konturen des neuen Büro-Stadtteils „Viertel Zwei“ ab – mit dem Hotel „Hotel Zwei“ und dem 80 Meter-Hochhaus „Hoch Zwei“ (wie sonst) als markantesten Punkten. Weniger markant, weil flacher, dafür umso traditioneller ist die Trabrennbahn in der Krieau. Freunde von Pferdewetten wissen Bescheid.
Der Ausstieg bei der Station Stadion konfrontiert den Passagier zunächst vor allem mit einem – dem Leitsystem für Fußballfans. Brav aufgeteilt werden die Fans während der Euro den Pfeilen in den richtigen Sektor folgen, so sie nicht gleich in das Stadion Center zu Shops und Gastronomie abbiegen. Das hat an Spieltagen zwar ab 14 Uhr geschlossen, aber das soll nicht das Problem sein. Das Stadion selbst, benannt nach dem legendären Fußballtrainer Ernst Happel, wurde 1931 eröffnet und 1986 nach einer umfassenden Sanierung wiedereröffnet. Das interessiert den Fußballfan zwar vermutlich nur primär, wie Hans Krankl sagen würde, der Vollständigkeit halber sei es dennoch erwähnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2008)

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