Wiener Konferenz: Mit Muslimen in die Synagoge

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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100 junge Juden und Muslime diskutieren in Wien über Antisemitismus, Islamophobie und die Eskalation in Gaza. Und erproben, wie Dialog funktionieren kann.

Wien. Ein paar Dutzend junge Leute, Muslime mit Vollbart und Ray-Ban-Sonnenbrille, Juden mit Kippa und in Sneakers – dieses Bild, noch dazu vor der Synagoge in der Wiener Innenstadt, macht offenbar nervös. Polizisten beobachten die Sicherheitskontrollen vor der Synagoge in der Seitenstettengasse, die geplante Besichtigung verzögert sich um Stunden, Sicherheitsleute der Synagoge mit Knopf im Ohr sind sichtlich angespannt. Weisen streng an, was fotografiert werden darf, kontrollieren, ob sie und ihre Sicherheitsvorkehrungen auf Fotos auch wirklich nicht zu sehen sind.

Dass das, nämlich dieses angespannte Verhältnis, wenn Muslime und Juden aufeinandertreffen, so nicht sein müsste, ist der Anlass des gemeinsamen Synagogenbesuchs am Freitag. Danach stand übrigens die Visite einer Moschee auf dem Programm. Sie sind Teil der Muslim Jewish Conference (MJC), die noch bis kommenden Donnerstag in Wien stattfindet. 100 Teilnehmer aus 35 Ländern, je rund 40 Prozent Juden und Muslime, der Rest bekennt sich zu anderen oder keinen Glaubensgemeinschaften, tagen in Wien. Es sind vor allem junge Leute, Studenten, Akademiker oder Führungspersonen – am stärksten vertreten sind US-Amerikaner und Pakistanis –, die sich bei Workshops und Vorträgen mit Themen wie Islamophobie und Antisemitismus in den Medien, Geschichte und Identität oder Gender und Religion auseinandersetzen. Vor allem gehe es darum, Stereotype und Feindbilder aufzubrechen, den Dialog zu fördern.

„Treffe zum ersten Mal Juden“

Schließlich war es ein spontaner Dialog vor sieben Jahren bei einer Model-UN-Konferenz in Genf, der zum Grundstein für die MJC wurde. „Ich wurde bei einer simulierten UN-Konferenz für Studenten von einem Pakistani angesprochen. Er sagte: ,Du bist der erste Jude, den ich persönlich treffe. Gehen wir auf einen Kaffee?“, erzählt Ilja Sichrovsky, der Organisator der MJC. Heute, wenige Jahre später, sind der 31-jährige Wiener und Mustafa Jalil Qureshi, der junge Pakistani von damals, beste Freunde und Partner im Team der MJC. Diese findet nun jährlich und heuer zum fünften Mal (und zum zweiten Mal in Wien) statt, steht unter der Patronanz von Bundespräsident Heinz Fischer und wird von Ex-US-Präsident Bill Clinton unterstützt. Die 100 Teilnehmer wurden vom MJC-Team aus 250 Bewerbern ausgewählt und eingeladen. Bis auf den Flug finanziert die MJC die Teilnahme, die MJC wiederum wird von mehreren Geldgebern finanziert: darunter die Kahane-Stiftung, das Außenministerium oder das American Jewish Committee.

„Wie Leute aus Afghanistan oder Pakistan auf uns kommen, ist uns immer wieder ein Rätsel“, sagt Sichrovsky und spricht von einem Grassroots-Effekt, einer Basisbewegung, die vor allem von sozialen Netzwerken und Medien profitiert. Das Ziel sind konkrete Projekte: So ist daraus etwa eine Facebook-Gruppe mit mittlerweile 1200 Mitgliedern entstanden, in denen sich Anhänger der beiden Religionen austauschen können. Auch ein Videoprojekt über Vorurteile, eine Datenbank über historische Berichte, auch von Zeitzeugen, über funktionierendes Zusammenleben und andere Projekte befinden sich derzeit im Aufbau. Sonntagabend gibt es außerdem einen offiziellen Empfang im Rathaus, am Montagabend eine Eröffnungsgala. Ansonst sind öffentliche Veranstaltungen nicht geplant, der genaue Ablauf und die Orte der Konferenz bleiben geheim. Aus Sicherheitsgründen. Ein Zeichen dafür, dass der Dialog zuletzt nicht einfacher geworden ist?

Dialog über heikle Themen

„Natürlich spiegelt sich der Gaza-Konflikt in der Stimmung der Konferenz“, sagt Sichrovsky. Das Thema wollen weder Veranstalter noch Teilnehmer aussparen – aber es ist auch nicht Tagesordnungspunkt Nummer eins. „Allein die 25 Leute in unserem Team haben 25 Meinungen dazu. Wir versuchen, eine gemeinsame Sprache zu finden, auf Augenhöhe zu kommunizieren“, sagt Sichrovsky. Trotz aller Differenzen im Dialog zu bleiben.

Die Bereitschaft zum Dialog und Konflikte auf ein höheres Level zu heben, weg von Parolen auf der Straße, sei das Kriterium, nach dem die Teilnehmer ausgewählt werden: Eine ideologische Selektion gebe es nicht, obwohl man einen „Background-Check“ durchführe, um zu verhindern, dass Extremisten die Konferenz unterwandern. Gerade in Wien sei das Thema Sicherheit präsenter als bei früheren Konferenzen im Ausland – eventuell, weil es in Wien Anfang der 1980er einen Anschlag auf eine Synagoge gegeben habe. Die MJC soll auch künftig jährlich stattfinden. Damit irgendwann eine Gruppe junger Leute mit Hidschab und Kippa nicht mehr auffällt – und keinen mehr nervös macht.

Auf einen Blick

Die Muslim Jewish Conference (MJC) findet noch bis 14. August in Wien statt. MJC ist eine in Wien registrierte internationale Non-Profit-Organisation, die nun zum fünften Mal ihre Konferenz abhält. 100 junge Muslime und Juden (und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften) aus 35 Ländern wollen bei Workshops, Vorträgen und Seminaren Stereotype und Feindbilder abbauen und den Dialog stärken. Die Themen reichen von Islamophobie und Antisemitismus bis zu Bildung und Medien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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