Wandern in den Wipfeln der Bäume

Der Baumkronenweg Ziegelwies in Füssen/Bayern in Deutschland wurde erst 2013 eröffnet. Er ist 21 Meter hoch und führt 480 Meter durch den Wald.
Der Baumkronenweg Ziegelwies in Füssen/Bayern in Deutschland wurde erst 2013 eröffnet. Er ist 21 Meter hoch und führt 480 Meter durch den Wald. KARL-JOSEF HILDENBRAND / EPA / picturedesk.com
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Wer die Welt einmal aus einer anderen Perspektive sehen will, der besucht einen von sieben Baumkronenwege Österreichs. In bis zu 40 Meter Höhe lernt man jede Menge über die Natur.

Von oben sieht der Zoo ganz anders aus. Fast so, als wäre er mitten im Wald versteckt. Die Gehege sind ganz klein geworden, fast nicht sichtbar, nur manchmal geben die Bäume den Blick auf galoppierende Lamas frei. Das Kindergeschrei ist leiser geworden, zum Glück. Das Gebrüll des Löwen – fast nicht zu hören. Aber vor uns tut sich ein Panoramablick auf Wien auf. Der Kahlenberg, der Leopoldsberg, Steinhof. Und hinter uns? Nur die Kronen der Bäume. Die Hektik des Zoos ist ausgeblendet. Endlich etwas Ruhe.

Der Baumwipfelweg im Schönbrunner Zoo ist – obwohl er mitten im Tiergarten liegt – irgendwie schwer zu finden. Auf dem Weg zum Tirolerhof (dort wo Stadtkinder einmal echte Ziegen und Schafe im Stall besuchen können und Eltern einmal mehr erfahren, dass Bio-Essen teuer sein kann) wird man irgendwo auf die Holzbrücke stoßen, die einen in die Höhe bringt.

160 Meter lang und maximal zehn Meter hoch ist der Baumkronenweg (oder Naturerlebnispfad, wie er offiziell heißt), der seit 2009 in dem Zoo zu finden ist. Er ist mit mehreren Informationsschildern gesäumt, die erklären, welche Tiere von hier aus zu beobachten sind. Vögel wie Kohlmeise, Blaumeise oder Sumpfmeise. An diesem Tag zeigt sich aber nur eine Taube.

Platz für zwei Kinderwagen. Wie Tarzan ohne Liane kann man sich schon vorkommen, wenn man in einem stillen Moment den breiten Holzweg erklimmt. Er ist mit Stahlpfeilern mitten durch den Wald gerammt. Anders als eine Hängebrücke schaukelt er nur ganz leicht, dafür hat er Platz für zwei Kinderwagen nebeneinander.

Von hier oben sieht der Wald ein bisschen wie ein Dschungel aus. Die Äste der Bäume sind miteinander verschlungen. Sie bilden ein dichtes Dach im Halbstock unter dem Weg, so dass man den Boden fast gar nicht sehen kann. Nur manchmal blitzt ein Farbklecks zwischen den Ästen und Blättern hervor. Es sind Zoobesucher, die durch den Wald marschieren. Ihre Stimmen sind ein undeutliches Gemurmel. Dafür heult ein Wolf.

Der Schönbrunner Baumkronenweg wird neben Tieren wie Elefanten und Löwen im Zoo eigentlich viel zu wenig beachtet, aber er ist nicht der einzige, der in Österreich zu finden ist. Insgesamt sieben an der Zahl gibt es mittlerweile in der Alpenrepublik, wobei sie sich auf alle Bundesländer aufteilen, mit Ausnahme von Tirol und Vorarlberg.

Australien machte es vor. Die Idee der Baumkronenwege kommt eigentlich aus Australien. 1988 wurde dort der erste Baumkronenweg im Lamington National Park in Queensland auf einer Länge von 180 Metern in einer Höhe von 34 Metern gebaut. 1997 kam der 600 Meter lange und 40 Meter hohe Tree-Top-Walk in der Nähe des Ortes Walpole, im Valley of the Giants, hinzu. Er führt durch die Kronen von 400 Jahren alten Eukalyptus-Bäumen im Walpole-Nornalup-Nationalpark. Mittlerweile gibt es auf der ganzen Welt solche Pfade. In Afrika, Malaysia, Europa, in den USA.

Im benachbarten Deutschland hat der erste Pfad 2003 eröffnet. Einer von ungefähr zwölf, die es mittlerweile gibt. Der Baumwipfelpfad in Fischbach (im Bundesland Rheinland-Pfalz) ist bis zu 18 Meter hoch, mit einem 40 Meter hohen Aussichtsturm, einer Wendelrutsche, einer Tellerbrücke, einer Hängebrücke und einer Eulen-Lauschstation.

Nach Österreich kam der Weg – Baumkronenwege scheinen hier und in Deutschland sehr beliebt zu sein – 2005. Und zwar mitten ins Nirgendwo, ins oberösterreichische Kopfing, ein kleiner Ort im Innviertel unweit der deutschen Grenze.

Ein umtriebiger Bauer, Johann Schopf, hatte die Idee dafür. „Ich gehe selbst sehr gerne in den Wald, und als ich die Idee dann hatte, hat es mich gewundert, dass davor noch niemand so etwas gemacht hat“, sagt Schopf. Auf einer Länge von 500 Metern geht der Weg nun durch die Bäume und zu verschiedenen Erlebnisstationen. Mal auf, mal ab bis zu 40 Meter in die Höhe – dann reicht der Blick bis nach Bayern.

Bevor es den Weg gab, sagt Schopf, hatte Kopfing vielleicht vier bis fünf Touristen im Jahr. Mittlerweile schieben sich jährlich 130.000 bis 150.000 Menschen über die Holzbretter. Aus der ganzen Welt kämen sie hierher. Schottland, Lettland, Australien, USA.

Immer wieder wird das Angebot daher erweitert. 2006 hat etwa das Baumkronenhotel eröffnet. Sechs „Hotels“, also einzelne Baumhäuser, können nun über die Nacht gemietet werden. Sie funktionieren wie kleine Apartments, haben mehrere Betten, eine Kochnische und eine Heizung. Anders als der Baumkronenweg – die Wege schließen allgemein meistens Anfang November, wer heuer noch gehen will, muss schnell sein – hat das Hotel das ganze Jahr über offen.

Eine von Schopfs Lieblingsveranstaltungen wird Ende November rund um den Baumkronenweg starten. Ein kleines Weihnachtsdorf mitten im Wald. 100 Kerzen würden den Weg dorthin beleuchten. Im Weihnachtsdorf wird nur verkauft, was die Leute aus der Umgebung selbst gemacht haben. Kekse, Punsch, Schnitzereien, Kerzen. „Viele sagen, sie kommen her, weil sie so richtig in Weihnachtsstimmung kommen wollen“, sagt Schopf.

Kinder wissen zu wenig. Keine Weihnachtsstimmung gibt es im Burgenland. Auf dem Baumwipfelweg Althodis können Kinder dafür kleine Naturexperten werden. „Wir haben hier viele Integrationsklassen. Aber die Kinder haben meistens keine Ahnung von der Natur“, sagt Hubert Reschl, Chef vom Naturpark Geschriebenstein-Irottkö, und erklärt damit, warum es seit 2010 auch im Burgenland einen Baumkronenweg gibt. Er ist so wie der in Kopfing 500 Meter lang und hat viele Infotafeln, damit die Besucher etwas über die Flora und Fauna erfahren. „Wenn eine Gruppe kommt, dann frag ich sie nachher ab“, sagt Reschl. Der Weg im Burgenland ist barrierefrei. Er ist mit dem Rollstuhl erreichbar und für Blinde wurden Hinweisschilder in Brailleschrift übersetzt, anstatt der Infotafeln können sie die Informationen über Mp3-Player hören.

Zwar keinen Panoramablick bis nach Ungarn, dafür einen fantastischen Blick auf die Alpen bekommen die Besucher des Glemmtaler Baumzipfelweg in Saalbach-Hinterglemm. Ein 200 Meter langer Rundweg über einen Nadelwald, der mit dem Weg über die „Golden-Gate-Brücke“, einer großen, roten Hängebrücke über ein Tal beginnt.

In Schönbrunn gibt es diese Brücke nicht. Hier blickt man auf die Stadt und etwas näher auf die Schönbrunner Bäume, deren Blätter im Herbst nun grün, gelb und rot leuchten. Die Schilder erzählen nicht nur von den verschiedenen Vogelarten, sondern auch, wie Schönbrunn damals im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde. Auf dem Foto sind Soldaten mit Giraffen zu sehen. Das Kindergeschrei aus dem Zoo ist noch weiter in den Hintergrund getreten. Wirklich entspannend hier, diese Ruhe.

Aus der Vogelperspektive

Baumkronenweg Kopfing war 2005 der erste Baumkronenweg in Österreich. Vor Ort gibt es auch ein Baumhotel und Ende November das Weihnachtsdorf. www.baumkronenweg.at

Baumwipfelweg Althodis. Ein 500 Meter langer Lehrpfad im Naturpark Geschriebenstein-Irottkö. Er ist barrierefrei.
www.baumwipfelweg-althodis.at

Glemmtaler Baumzipfelweg. Der Weg nach Saalbach-Hinterglemm führt über einen Nadelwald. baumzipfelweg.at

Wege in Deutschland. Der Baumkronenweg Ziegelwies (siehe Foto) wurde erst 2013 eröffnet. Er ist einer von zirka zwölf solcher Wege in Deutschland. baumkronenweg.eu

Naturerlebnispfad Schönbrunn. Der Weg liegt mitten im Tierpark auf der Strecke vom oder zum Tirolerhof.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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