Papst-Botschafter: „Islam heute ist nicht Islam des Koran“

Nuntius Edmond Farhat
Nuntius Edmond Farhat(c) Die Presse (Fabry Clemens)
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Der scheidende Botschafter des Papstes, Erzbischof Edmond Farhat, im Interview mit der "Presse". Farhat ist seit 2005 Apostolischer Nuntius in Österreich, vor Wien war er Nuntius in der Türkei.

Die Presse: Als Diplomat sind Sie Vertreter des Heiligen Stuhls bei der Republik Österreich und Gesandter des Papstes bei der Kirche. Welche Rolle ist die wichtigere?

Erzbischof Edmond Farhat: Gott sei Dank sagen Sie „Diplomat“. Das heißt nämlich, dass wir arbeiten. Die Kirche arbeitet, der Nuntius arbeitet – auch mit dem Staat. Wir haben keine großen Probleme mit dem Staat. Die Kirche macht Probleme, hat aber auch Erfolge.

Welche?

Farhat: Die Kirche macht viel, aber der normale Katholik geht nicht in die Kirche und sieht es daher nicht. Der katholische Journalist, um sich modern zu machen, nimmt von der Lehre nur, was „unnormal“ ist, an, aber eine Rede des Papstes kann man nicht oberflächlich lesen.


Kardinal Schönborn hat sich von der Maria Troster Erklärung von 1968 distanziert, in der die österreichischen Bischöfe – im Gegensatz zur Aussage der Enzyklika Humanae Vitae von Papst Paul VI. – die Entscheidung über die Methoden der Empfängnisverhütung dem Gewissen der Ehepaare anheimgestellt haben. Er sprach sogar von einer Sünde der damaligen Bischöfe.

Farhat: Ich war damals noch nicht in Wien. Die Lehre der Kirche bleibt: Gott ist Leben. Nur der „lebendige“ Mensch lobt Gott. Ich bin für die Freiheit, für Verantwortung, aber auch für den Mut, überzeugt zu sein, dass ich nicht allein alles wissen kann. Ich muss jemandem vertrauen können.


Wenn Sie sagen, Sie sind für die Freiheit, bedeutet das, dass Sie meinen, die Entscheidung über die Methoden der Empfängnisverhütung soll den Paaren überlassen werden?

Farhat: Was der Kardinal im Heiligen Land gesagt hat, halte ich für eine Gnade Gottes, dass er mit Klarheit gesprochen hat. Er hat kein Wort gegen jemanden gesagt, er hat nur an die Lehre der Kirche erinnert. Wir empfinden es als traurig und als eine Sünde der Menschen, als unsere katholische Sünde, wenn wir heute Familien ohne Kinder haben. Sie können mich nicht überzeugen, dass die Abtreibung normal sein soll, dass ein Fötus von zwölf Wochen im Leib seiner Mutter noch kein menschliches Wesen ist.

Fehlt es der heimischen Kirche an Mut, die Wahrheit auszusprechen?

Farhat: Sie versucht es. Manchmal gelingt es. Aber man kann sprechen und sich doch nicht gut verständlich machen, auch in der Verkündigung. Kommunikation ist eine Kunst. Vielleicht haben wir in der Kirche hier mehr zu lernen und zu tun.


Sie sind Kenner des Islam. Gibt es einen europäischen Islam?

Farhat: Welche Zeitung hat heute nicht Beiträge über den Islam in Europa? Das ist Mode. Es ist aber auch die Entdeckung einer Realität, die noch nicht lange existiert.


Hilft Ihnen Ihre Islam-Kenntnis, eine vermittelnde Rolle zu spielen?

Farhat: Ich habe nie einen Moslem getroffen, der mir nicht Respekt, Liebe und Achtung entgegengebracht hätte. Ich war sechs Jahre in Algerien und dort der einzige Botschafter, zu dem die Islamisten kamen, um über Religion und Politik zu reden.


Aber in Europa geht es um den Umgang mit dem „normalen“ Islam.

Farhat: Der Islam ist eine Religion, die die Muslime selbst nicht kennen. Der Islam, wie er sich in der Geschichte entwickelt hat und heute gelehrt wird, ist nicht der Islam des Koran. Der entwickelte Islam hatte Erfolg mit Macht und Krieg.


Ist das eine Kritik?

Farhat: Ich verlange für mich die Freiheit, positive Kritik an allen Religionen üben zu dürfen. Wenn die Muslime glauben, dass der Koran oben bei Allah am Tisch liegt, respektiere ich diese Idee, aber ich verlange dafür Respekt, zu sagen, dass ich das nicht glaube. Ich respektiere den Koran als religiöses Buch, aber ich verlange die Freiheit, zwischen Koran und den Hadithen, den schriftlichen Überlieferungen, zu unterscheiden. Hadith ist, was andere später über den Propheten und den Koran geschrieben haben.

Wie lässt sich ein modernes pluralistisches System mit dem Anspruch des Islam, der Religion und Gesellschaft nicht trennt, vereinbaren?

Farhat: Der Moslem kann nicht Moslem sein ohne seine Religion. Der moderne Europäer glaubt, dass sein Christsein nicht öffentlich bekannt werden soll. Heute bekennen sich nur siebzig Prozent der Österreicher zum katholischen Glauben. Vor zwanzig Jahren waren es neunzig Prozent. So etwas finden wir nie in den muslimischen Gesellschaften.

Fürchten Sie sich vor einer Islamisierung Europas?

Farhat: Nein, nein, das ist ein Slogan. Aber ich fürchte, dass ein großer Teil der Europäer mit einer unklaren und unehrlichen Politik auf die neue Realität des Islams falsch reagiert. Was ich fürchte, ist die Entchristlichung Europas. Es gibt viele Muslime hier, die christlicher leben als viele Christen.

Zur Person

Edmond Farhat ist seit 2005 Apostolischer Nuntius in Österreich. Mit Vollendung des 75. Lebensjahres ersuchte der Erzbischof – wie üblich – nun um Versetzung in den Ruhestand. Geboren 1933 in der maronitisch-katholischen Eparchie Dschubail im Libanon, wurde Farhat 1989 dortiger Titular-Erzbischof. Vor Wien war er Nuntius in der Türkei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2008)

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