Ein Land baut sich seinen Nachrichtendienst

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Österreichs Staatsschutz fordert zur Abwehr aktueller Bedrohungen eine Anpassung der Gesetze. Das Innenressort will vorher die Bürger fragen. Braucht die Republik einen Inlandsdienst? Einiges spricht dafür, manches dagegen.

Wien. Fürchten wir uns genug, um dem Staat mehr Werkzeuge dafür zu überlassen, innerhalb Österreichs intensiver nach Extremisten aller Art, Spionen und Hackern zu suchen? Oder sind wir dazu bereit, mit den Bedrohungen zu leben, die Befugnisse der Staatsgewalt klein zu halten und im Falle eines Zwischenfalls oder Anschlags mit den Konsequenzen zu leben?
Auslöser für die seit einem halben Jahr geführte Debatte ist die Suche von Österreichs Staatsschutz nach einer zeitgemäßen Identität. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) glaubt, dass der gewährte Rechtsrahmen nicht mehr ausreicht, um das Land vor staatsgefährdenden Bedrohungen zu schützen.

Anstatt in Eigenregie ein Gesetz zu erarbeiten und dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen, hat sich das Innenministerium dazu entschlossen, vorher Wirtschaft, Wissenschaft und Bürger zu fragen: Wollt ihr das überhaupt? Denn auch wenn die Verantwortlichen offiziell das Wort meiden, in Wahrheit geht es in letzter Konsequenz darum, ob sich das Land zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen polizeilichen Inlandsnachrichtendienst baut oder nicht. Und es geht darum, die benannten Bedrohungen bereits zu durchleuchten, wenn die gewöhnliche Strafverfolgung noch lange nicht greift.

Endstation Google-Suche

Tatsächlich existiert der heimische Staatsschutz seit seiner Gründung als Zwitterwesen. In der Öffentlichkeit oft als Geheimdienst bezeichnet, ist das Amt mit seinen Landesstellen tatsächlich nur spezialisierte Abteilung mit den Befugnissen der normalen Polizei. Spione und Agenten gibt es dort nicht.

Das bedeutet auch, dass seine Mitarbeiter mehr als nur einen losen Verdacht gegen jemanden brauchen, um ihn durchleuchten zu dürfen. Wenn etwa einem Journalisten Person X „irgendwie seltsam“ erscheint, ist die Abfrage öffentlicher Register (z. B. Grund- oder Firmenbuch) oder das Suchen in sozialen Netzwerken oder bei Google rechtlich einwandfrei. Die Beamten des Staatsschutzes dürfen zu diesem Zeitpunkt nicht einmal an diese Methoden denken, geschweige denn etwas aufschreiben und damit aktenkundig machen.

Hierfür gibt es das Instrument der erweiterten Gefahrenerforschung. Das Beobachten, Filmen und Belauschen von Personen oder Gruppierungen, die noch nicht gegen das Strafrecht verstoßen haben, aber als Gefahr wahrgenommen werden, ist derzeit das einzige nachrichtendienstliche Instrument des BVT. Und es reicht – sagt das BVT – nicht mehr aus. Das Gesetz sieht vor, dass die Aufklärung von Einzeltätern spätestens neun Monate nach ihrer Genehmigung durch den Rechtsschutzbeauftragten des Innenministeriums eingestellt, der Akt dazu gelöscht wird.

Starke Argumente für mehr nachrichtendienstliche Aufklärung kommen aus Deutschland. Medien und Zivilgesellschaft hören es nicht gerne, allerdings gilt als gesichert, dass es Hinweise aus der elektronischen Überwachung der amerikanischen NSA waren, die 2007 Anschläge der Sauerland-Gruppe, und 2011 das Komplott der Düsseldorfer-Zelle auffliegen ließen.

Datenlage könnte besser sein

Um die Abhängigkeit von US-Organisationen zu verringern, fordern Jihadismus-Experten wie der Deutsche Guido Steinberg nun stärkere Nachrichtendienste. Fakt ist, dass man sich nur so der Willkür des Auslands bei der Informationsweitergabe entziehen kann. Zudem sind inländische Dienste kontrollierbar. Ausländische nicht.

Ein Makel beim Werben des BVT um ein eigenes Gesetz ist das unpräzise veröffentlichte Lagebild. Die jährlichen Berichte des Verfassungsschutzes sind vage. Über die Qualität der beschriebenen Bedrohungen ist wenig bekannt. Daran ändert auch die spektakuläre Razzia gegen Jihadisten Ende November nichts. Die Aktion war nämlich Teil einer strafrechtlichen Ermittlung.

Auch die Datenlage zur erweiterten Gefahrenerforschung ist nicht gut genug, um daraus die Notwendigkeit von mehr nachrichtendienstlicher Aufklärung ableiten zu können. So stagniert der Bedarf nach erweiterter Gefahrenforschung auf niedrigem Niveau. Im Vorjahr wurden nur 13 Neuanträge gestellt. Alle anderen Meldungen zu dieser Methode waren entweder Anträge zur Fortsetzung bereits laufender Erhebungen, oder Meldungen zu deren Einstellung.

Über den Grad der Gefährlichkeit der beobachteten Personen und Gruppen gibt es kaum verwertbares Material. Wie viele davon letztendlich tatsächlich beim Staatsanwalt landen, hat noch nicht einmal das BVT bisher ausgewertet. „Besonders viele sind es aber wohl nicht“, sagt ein leitender Mitarbeiter.

Auf einen Blick

Österreichs Staatsschutz sucht nach einer neuen Identität. Im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ist man der Meinung, dass die Rechtslage nicht genug Möglichkeiten zum Schutz vor Bedrohungen wie Jihadismus, Spionage und Cyberterrorismus bietet. Das Innenministerium steht dafür im Dialog mit der Zivilgesellschaft, um die Anforderungen an ein BVT-neu zu formulieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2014)

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