Gänse, Esel, Fernglas: Der See im Winter

BIRDWATCHING IM NATIONALPARK NEUSIEDLERSEE
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Auf eine Winterexkursion im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel nimmt man ein gutes Fernglas mit. Und viel Zeit und Muße.

Manche glauben, dass es im Winter in einem Nationalpark nichts Besonderes zu sehen gibt. Das ist ein Irrtum. Genauso wie es ein Irrtum ist, dass man sogenanntes Schönwetter – keine Wolke, pure Sonne – braucht, um gute Beobachtungen in der Botanik zu machen. Und auch die Annahme, nur am helllichten Tag wären die Tiere aktiv und sichtbar, ist falsch.

Eine Exkursion in die südöstliche Ecke des Sees, zum Schilfgürtel, zu den über 40 Salzlacken oder ins Niedermoor des Hansag ist im Winter nicht weniger spannend als zu anderen Jahreszeiten. Weil hier viele Vögel überwintern oder zwischenlanden, Kaninchen und Hasen herumspringen, Wild die Wege zwischen Hutweiden, Weingärten und anderen landwirtschaftlichen Flächen kreuzt.

Gerade wenn Wolken und Wind (meist aus Nordwesten) schräge, irisierende Sonnenfenster freilegen, ist dies eine gute Voraussetzung zum Staunen, Beobachten und Fotografieren. Und ein ideales Timing nennt man das, wenn man schließlich am späteren Nachmittag draußen in der Bewahrungszone Sandeck-Neudegg bei Illmitz steht und jede Menge Graugänse entdeckt. Oder besser gesagt: hört. Was für ein Palaver! Mit freiem Auge sind die Vögel fast nicht erkennbar, doch durch das Spektiv hat man sie fast in Greifweite.

„Zuerst gilt es, sich bei einer Beobachtungstour zu verorten“, sagt Alois Lang vom Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel, wo die winterlichen Exkursionen Namen wie „Winter im Nationalpark“ oder der „Gänsestrich“ tragen.

„Dann nimmt man das Fernglas zu Hilfe um sich zu orientieren, was da draußen überhaupt zu sehen ist“, empfiehlt Lang als zweiten Schritt für den Ornithologie-Novizen. Die nächste Frage geht schon ins Detail: „Das sind Gänse. Aber welche? Über eine größere Distanz kommt auch ein sehr gutes Fernglas oft an seine Grenzen. Deshalb geht man auf das Spektiv über, das noch einmal stark vergrößert.“ So wandert die riesige Linse von Gans zu Gans zu Gans. Aber erst der Blick in Lars Svenssons „Der Kosmos Vogelführer“ bringt Gewissheit. Noch sind sie fest am Schnattern, doch bald erheben sich die Vögel, bilden eine Formation und machen sich als V am Himmel von dannen. Später, im Abendrot wird man andere beim Landen auf einer der nahen Salzlacken beobachten: Wenn sie sich ihren Schlafplatz im seichten Wasser suchen, löst sich ihre Ordnung auf.

Weiße Esel als Rasenmäher. Andere Tiere sind mit freiem Auge zu entdecken. Am Sandeck wohnen an die 40 weiße Esel – im Zug des Flächenmanagements wurden alte Nutztierrassen wieder angesiedelt, weil sie helfen, wertvollen Lebensraum zu erhalten: Es sei eben auch ein Irrtum, dass Flächen, die sich ganz selbst überlassen werden, so viel mehr Vielfalt bieten, meint Lang und zeigt auf das Ende des kleinen Damms, der sich über 20 Kilometer die Ostseite des Neusiedler Sees entlangzieht. Diese Sandrücken sind die Hinterlassenschaft von Bewegungen und Verlandungen eines Sees, der gerade hohen Wasserstand hat, aber auch schon Phasen hatte, in denen er ausgetrocknet war. Vor allem der Wind verfrachtet vieles hier – Sand wie Wasser.

Tatsächlich geht es ein paar Meter sanft hinunter wie in ein Becken, und plötzlich kommt einem die Landschaft gar nicht mehr so bretteleben vor – Geländewellen von zwei, drei Metern registriert das Fernglas, riesige gestapelte Heutristen kommen ins Bild, über der Kulturlandschaft ziehen ganze Schwärme und einzelne Raubvögel. Mit jedem Blick durch Fernglas und Spektiv wird die Szenerie reicher. Dass die Zeit vergeht, wird für den Beobachter unerheblich. Vor allem, wenn er geschützt in einem „Hide“ steht, den Holzboxen mit aufklappbaren Balken, die an mehreren Stellen stehen. Hier können Ornithologen oft stundenlang bleiben. „Das Seevorgelände ist ungefähr seit 200 Jahren stark verschilft. Vor allem mit dem Ende der Viehwirtschaft Ende der Sechzigerjahre kam das Problem, dass das Schilf immer weiter landeinwärts gewachsen ist. Wiesen gingen verloren – und damit viele Lebensräume. Das Offenhalten der Landschaft ist eine Daueraufgabe, weil der Artenreichtum davon abhängt“, ist Lang überzeugt.

Um diese Flächen freizuhalten, sind eben die weißen Esel da, Lang zeigt über ein wie niedergemähtes Stück Grün: „Der Effekt ist enorm, weil sie das ganze Jahr hier fressen. Der Mähbalken geht nur einmal im Jahr drüber und dann wächst es wieder.“ Auch etwas weiter südlich, beim Darscho, sind wieder Graurinder und Wasserbüffel im Einsatz, die jetzt allerdings beim Apetloner Hof in der Koppel stehen, weil ihre Weidesaison vorüber ist. Im Frühling stapfen sie über die Weiden und erledigen ihre Arbeit: die Schilf-Rhizome niederzutreten und selektiv zu fressen. So lässt sich Land retten und Fläche für den Nationalpark dazugewinnen.

Die Strecken zwischen den Bewahrungs- und Naturzonen, den landwirtschaftlichen Flächen und den Brachen sind weit, Schotterwege erschließen viele Bereiche. Leistungs- und Zeitdruck sind ist hier unangebracht, weil sich nur in einem aufmerksamen „Stop-and-go“ die Besonderheiten erleben lassen. Man muss geduldig sein, um Tiere zu erspähen. Und auf den Wegen bleiben, um sie nicht zu stören.

Schwierig für eine Gesellschaft, die das virtuelle vom realen Naturerlebnis immer weniger unterscheiden mag. „Da gibt's keinen Elefanten im Straßengraben“, sagt Lang. Aber wenn man sich auf das Downtempo, die Stille und die Details einlässt, wird man wahre Entdeckungen machen.

Exkursionen am SEe

Rinder und Gänse. Im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel finden laufend Exkursionen statt – das ganze Jahr über. Die Themen reichen von „Das Rindvieh als Landschaftspfleger“ über „Einmal Hölle und zurück“ bis zum „Gänsestrich“. Ausgangspunkt ist das Infozentrum in Illmitz.

Dauer. Die Exkursionen dauern mindestens drei Stunden, man geht zu Fuß. Schon einmal vormerken sollten sich vogelkundlich Interessierte die „Pannonian Birdexperience“ vom 5. bis 13, April, wo eine Messe und Exkursionen zum Frühlingsvogelzug stattfinden.

Einblick.Besondere Plätze zum Beobachten sind in der Bewahrungszone Sandeck-Neudegg, die Hölle in Illmitz, die Lange Lacke in Apetlon, die Zitzmannsdorfer Wiesen bei Podersdorf oder der Hanság südlich von Tadten und Andau. An den interessantesten Punkten sind Hochstände, „Hides“ oder ehemalige Grenztürme aufgestellt. Infos:
nationalpark-neusiedlersee-seewinkel.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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