Einmal eine Bombe entschärfen

Screenshot Live Escape Games
Screenshot Live Escape Games(c) Screenshot Exit the Room
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In Live Escape Games müssen sich Spieler durch das Lösen von Aufgaben aus einem Raum befreien oder etwa eine Bombe entschärfen. Die Spiele finden zunehmend Anhänger in Wien. Völlig zu Recht.

Die Tür fällt mit einem leisen Klick ins Schloss. „Da ist der Lichtschalter, falls ihr ihn braucht“, hat Peter vor dem Abschied noch gesagt und auf die zwei weißen Schalter neben der Türe gedeutet. Dann sperrt er die Tür zu.

Wir sind gefangen. An der Wand hängt ein Bildschirm mit einem Countdown. Er beginnt hinunterzuzählen. Durch die Lautsprecher dringt Musik. Leise. Bedrohlich. Wie in einem amerikanischen Film, kurz bevor die Bombe explodiert. Das passt. 60 Minuten haben wir Zeit, um die Bombe zu entschärfen. Sonst geht sie hoch. Zumindest in unserem Spiel.

Wir befinden uns in einem Keller in den 1960er- oder 1970er-Jahren. Das will uns das Spiel suggerieren. Ein Schrank, eine Kommode, ein Sessel, ein analoger Fotoapparat. Es ist die Zeit des Kalten Krieges – wer unser Gegenspieler ist? Die Russen, die Amerikaner? Wir wissen es nicht.

Und Zeit zu überlegen gibt es nicht. Wie Wiesel beginnen wir uns im Raum zu verstreuen. Kollege E. macht sich am Schrank zu schaffen. M. an der Truhe. A. am Regal, ich an der Kommode. Dabei murmeln wir vor uns hin. Wir sollen uns möglichst schnell einen Überblick über den Raum verschaffen, hat Peter gesagt. Kunststück, der Raum ist klein. Und die Möglichkeiten nicht groß. Wir finden Zahlen, einen Schlüssel, aber so richtig passt nichts zusammen. Ratlos untersuchen wir den Raum ein ums andere Mal, heben zum x-ten Mal diesen oder jenen Gegenstand hoch. Wir haben noch nicht einmal angefangen und hängen schon fest.

Eine Innenhoftreppe hat uns in den Keller geführt, der Eingang liegt in einem Altbau am Wiener Gürtel. Es ist ein nasskalter Tag, nur ein schwaches Licht weist uns den Weg.

Einmal die Kellertür geöffnet, reißen wir erstaunt die Augen auf. Der ganze Raum ist voll gekritzelt. Der Boden, die Wände, die Decke – nicht einmal vor den Rohren haben die Spieler haltgemacht. „Bei uns ist es Tradition, dass sich die Spieler verewigen“, sagt Peter, grüner Pullover, Jeans, seine blonden Haare trägt er kurz geschnitten. Peter ist Student und der Moderator unseres Spiels, den Job hat er erst vor Kurzem übernommen. Weil die Nachtarbeitszeiten sich gut mit der Uni kombinieren lassen.

Über 40 Anbieter in Ungarn. Was wir spielen, ist ein sogenanntes Live Escape Game. Wer es erfunden hat, darüber scheiden sich die Geister. Im Internet ist Japan als Ursprungsland zu finden oder die USA, hier in Wien wird einem erzählt, dass ein Ungar der Erfinder war. Aus Ungarn kommt auch die Firma, bei der Peter arbeitet: Exit the Room. Über 40 Anbieter dieser Spiele soll es allein in Budapest geben. Sie funktionieren mehr oder weniger nach dem gleichen Prinzip. Entweder man muss sich aus einem Raum befreien oder – wie wir – eine Bombe entschärfen. Damit wir den fünfstelligen Code finden, müssen wir mehrere Rätsel lösen. Eines führt zum nächsten, am Ende sollten wir so zum Code kommen.

Derzeit setzt uns aber noch der Countdown zu. Wo sind noch einmal diese verflixten Rätsel? Peter hat uns vorgewarnt, dass wir eine Zeit brauchen werden, um ins Spiel zu kommen. Hinweise, wie das erste Rätsel aussehen könnte, gibt er uns nicht. Also hüpfen wir im Raum auf und ab, drehen die halbe Einrichtung um, das Licht ein und aus, bis M. endlich den ersten Hinweis findet und die Aufgabe lösen kann. Endlich. Dann geht alles Schlag auf Schlag. Ein Fundstück führt zum anderen, so arbeiten wir uns Hindernis um Hindernis voran. Im Nachhinein werden wir uns denken: „Eh logisch, warum sind wir da nicht früher draufgekommen?“, aber in diesem Moment zählt nur der nächste Hinweis und die unangenehme Stimme aus dem Off, die mit blecherner Stimme sagt: „You have 45 Minutes left.“

Wir sind ratlos. Danke, aber die Uhrzeit ablesen können wir selbst. Dafür funktioniert sonst nichts. Auch M. blickt etwas ratlos um sich, sie hat bis jetzt noch die meisten Rätsel gelöst. Haben die komischen Punkte auf dem Boden etwas zu bedeuten? Nein, das ist nur Dreck.

Kollege E. will keine Joker verwenden. Dabei hätten wir fünf. Aber das hier ist schon längst eine Sache der Ehre geworden. Die dann schnell vergessen ist. Die Zeit geht unerbittlich gegen null und wir kommen hier nicht weiter. Peter gibt uns über ein Funkgerät einen kleinen Hinweis. Ein kollektiver Schlag auf die Stirn. Das hätte uns wirklich selbst einfallen können.

Aber es macht Spaß, sich Schritt für Schritt zur Bombe – wir haben sie mittlerweile entdeckt – vorzutasten. Und was für ein Gefühl, wenn man eine Aufgabe lösen kann. Ein Hauch von Actionfilm mitten in Wien. „James Bond“, „Das Vermächtnis der Tempelritter“, auf jeden Fall etwas, was den Adrenalinspiegel hebt.

Was auch andere bemerkt haben. Die Begeisterung der Wiener für Live Escape Games sei groß und stark im Steigen, glaubt man den Organisatoren von Exit the Room. Die drei Räume in Wien – neben The Bomb gibt es auch noch Mind Boggling und Madness – sind oft ausgebucht. Wer an einem bestimmten Tag oder zu einer bestimmten Uhrzeit kommen will, muss sich Wochen davor anmelden.

Wobei die Werbung fast ausschließlich über Mundpropaganda funktioniere, erzählt Pressesprecher Christian Lampl. Er ist gemeinsam mit Peter Teil des Sechserteams, das die Spieler in Wien betreut. Neben der Anlage in Wien gibt es noch einen Franchisenehmer in Graz und einen weiteren in München. Gespielt wird das Spiel von Studenten, Senioren, aber auch von Erwachsenen mit Kindern (empfohlen wird das Spiel ab neun Jahren). Auch viele Firmen kämen zum Teambuilding her, erzählt Peter.

Die Aufgaben werden dabei von der Geschäftsführung in Ungarn entwickelt. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. „In Amerika soll es sogar bei einem Spiel einen Mann geben, der als Zombie verkleidet im Raum angekettet ist und jede Minute wird die Kette länger“, erzählt Lampl.

Weitere Keller geplant. In Wien gibt es das freilich nicht. Dafür ein Manko: Wer einmal das Rätsel in einem Raum gelöst hat, kann das nicht wiederholen, da die Räume selten geändert werden. Die Firma überlegt aber jetzt schon, einen neuen Keller anzumieten, auch die vorhandenen Räume sollen adaptiert werden. Ganz billig ist das Spiel mit 21 Euro pro Person in einer Vierergruppe aber nicht.

Wir sind derweil fast am Ziel. „Noch 15 Minuten“, scheppert die Metallstimme aus den Lautsprechern. Das wird wohl zu schaffen sein. Die Musik wird lauter, die Töne bedrohlicher. Und wir kommen fast ins Schwitzen. Sechs von zehn schaffen das Spiel, sagt Peter. Wir gehören dazu. Am Ende geben wir den Code ein. Geschafft, die Bombe ist entschärft. Die Welt ist gerettet. Und unsere Ehre sowieso.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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