Doron Rabinovici: "Antisemitismus geht uns alle an"

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Im Rahmen einer Konferenz über Wiens jüdische Gemeinde vor 1938 beschäftigt sich Doron Rabinovici mit Strategien gegen Antisemitismus - und spricht über Parallelen zu heute.

Die Presse: Der Antisemitismus kam nicht erst mit Hitler nach Österreich – Sie haben untersucht, wie die Juden von 1933 bis 1938 damit umgingen. Welche Strategien gab es da?

Doron Rabinovici: Manche versuchten, den Antisemitismus damit zu beantworten, indem man darauf bestand, Österreicher zu sein, andere wollten national jüdisch sein. Die Frage, wie man sich gegenüber Gewalt verhält, beschäftigte die jüdische Gemeinde sehr. 1932 wurde der Bund der ehemaligen jüdischen Frontkämpfer gegründet. Das wurde schnell eine große Organisation, die ging auch militant vor. Da gab es richtige Straßenkämpfe.

Gab es auch ein Verdrängen?

Wenn wir ex post wissen, dass ein paar Jahre später Leute in Gaskammern getrieben wurden, scheint uns, dass das Bewusstsein relativ unausgeprägt war. Aber das ist schwer zu beurteilen, weil wir die Sache von hinten aufzäumen. Es gab in der jüdischen Gemeinde Diskussionen, ob man gehen soll oder nicht. Aber es setzten alle – Zionisten und Nichtzionisten – eine Hoffnung in den Fortbestand Österreichs.

Die letztlich nicht erfüllt wurde.

Im Nachhinein lässt sich sagen, es gab keinen Plan B. Man war überrannt von dem, was 1938 passiert ist. Das ist aber auch illusorisch – eine Gegenwehr gegen rassistische Gewalt kann von einer Minderheit allein nicht getragen werden.

Man war allein auf weiter Flur?

Ich würde nicht sagen, dass es niemanden gab. Aber wenn eine Minderheit kaum Solidarität in der Bevölkerung erfährt, bekommen die Antisemiten oder Rassisten recht, denn dann ist ja jede Gegenwehr nur Ausdruck des rassistischen Kampfes, den sie selber behaupten.

Was hat den Ausschlag gegeben für die, die ausgewandert sind?

Zwischen 1933 und 1938 war die Auswanderung klein. Die Frage war weniger, ob man geht oder nicht, sondern ob man glaubte, dem Antisemitismus durch patriotische Bekundung entgegentreten zu können oder durch eigenes jüdisches Selbstbewusstsein.

Die große Fluchtwelle startete erst mit dem Einmarsch Hitlers 1938.

Genau, nur heißt es nicht, dass, wenn man gehen will, man auch wegkommt. Andere Staaten nahmen einen nicht auf. Es gab bereits Versuche, Jugendliche nach Palästina zu bringen. Aber das war gegen die Politik der britischen Mandatsherrschaft, und auch in andere Länder zu kommen, war nicht einfach. Heute nehmen wir eine andere Perspektive ein: Wir erleben, dass Flüchtlinge in unser Land wollen. Und wenn wir nur ein paar hundert rein lassen, meinen wir schon, allzu gut zu sein.

Gibt es eine Parallele zur jetzigen Zeit? Es gab ja eine größere Welle der Auswanderung, vor allem in Frankreich.

Sicher gibt es zwischen allen Situationen Parallelen, aber der Unterschied ist schon groß. Unter anderem, weil es ja jetzt einen Staat gibt, der daran interessiert ist, dass Juden einwandern. Aber abgesehen davon haben wir zum Glück keine Regierung in Europa, die eine Politik betreibt, die auf eine jüdische Vertreibung abzielt.

Wobei sich die Zahl antisemitischer Vorfälle in Österreich im Vorjahr verdoppelt hat.

Die antisemitischen Vorkommnisse sind beunruhigend, sie sind auch zu einem Teil ideologisch – wir haben es mit Islamismus zu tun. Dabei ist der alte Antisemitismus noch lange nicht überwunden. Dennoch ist es wichtig, historisch korrekt zu bleiben. Eine Parallele zu heute ist: Wenn eine schweigende Gruppe, die nur zuschaut, glaubt, das sei ein Match zwischen Rassisten und Verfolgten, ist die Sache schon verloren. Es ist eine Auseinandersetzung, die alle angeht.

Wie könnte denn heute eine Strategie gegen Antisemitismus aussehen? Das eigene Judentum betonen?

Das ist schon eine Strategie. Heute gibt es in Österreich allenfalls 8000 Gemeindemitglieder, vielleicht ein paar mehr Juden sonst noch, aber insgesamt sehr wenige. Es ist eine kleine Gemeinde mit Selbstbewusstsein. Aber der Antisemitismus ist nicht mehr eine offizielle Programmatik, er ist seit 1945 tabuisiert – man könnte sagen, er ist privatisiert worden.

Also wird er nur mehr in den eigenen vier Wänden ausgelebt?

Er ist ein kultureller Code. Er kommt immer wieder auf. Aber die Christlichsozialen und Deutschnationalen haben sich früher stolz als Antisemiten bekannt – das hat sich geändert.

Einige, die früher antisemitisch agiert haben, verteidigen jetzt Israel – und prügeln eher auf die Muslime hin.

Das passiert nicht aus Liebe zu den Juden, sondern aufgrund antimuslimischer Ressentiments. Es gibt aber gleichzeitig noch immer einen klaren und eindeutigen Antisemitismus von rechts. Nach 1945 entstand eine neue Form von Antisemitismus. Der Jude wird nicht trotz, sondern teilweise wegen Auschwitz gehasst. Er ist die Personifikation des schlechten Gewissens. Eine Art das auszuleben ist zu sagen, die Juden sind ja auch nicht viel besser als die Nazis. Israel wird dann zum absolut Bösen gemacht.

Was könnte man dagegen tun?

Wenn wir einer antisemitischen oder rassistischen Aussage, Diskriminierung, Hetze oder einer Tat begegnen, nicht schweigen, sondern aufzeigen und ansprechen. Es kann jedem von uns passieren, dass wir etwas sagen, was ein Klischee bestärkt. Wenn dann jemand sagt, aber das ist doch rassistisch, ist es falsch darauf zu sagen: „Aber ich bin doch kein Rassist.“ Wir alle müssen uns auseinandersetzen mit diesem Phänomen. Und dagegen hilft das Benennen, hilft auch, politisch Stellung zu nehmen – und Sensibilität.

ZUR PERSON

Doron Rabinovici (geb. 1961 in Tel Aviv) ist Schriftsteller und Historiker. Zuletzt inszenierte er 2013/14 die Zeitzeugenproduktion „Die letzten Zeugen“ am Burgtheater. Heute, Donnerstag, spricht er bei der Konferenz „Antisemitismus in Österreich 1933 – 1938“ im Juridicum der Uni Wien zum Thema „Angesichts von Hass und Hetze – Jüdische Strategien gegen den Antisemitismus“.

antisemitismus1933-1938.univie.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2015)

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