Traurige Stille in Graz

NACH AMOKFAHRT: GRAZ VOLLER TRAUER
NACH AMOKFAHRT: GRAZ VOLLER TRAUER(c) APA/ERWIN SCHERIAU (ERWIN SCHERIAU)
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Eine Woche nach der Amokfahrt herrschen in Graz Trauer und Zusammenhalt. Die Menschen reden viel – darüber, wie es ihnen geht. Nur über einen wird geschwiegen.

Normalerweise herrscht hier an Samstagen so etwas wie Urlaubsstimmung. Man trifft sich mit Freunden im Schanigarten, unterhält sich, lacht. Seit einer Woche ist in Graz aber nichts mehr normal. Und normal wird es auch nicht mehr so schnell werden. Nach der Amokfahrt am 20. Juni, bei der drei Menschen ums Leben kamen und 36 verletzt wurden, herrscht eine traurige Stille.

Menschen sitzen auch an diesem Samstag in den Schanigärten in der Herrengasse – aber jene Plätze, die sich am nächsten zu den kleinen Inseln mit Kerzen befinden, bleiben leer. Man versucht sich über Alltägliches zu unterhalten – gelacht wird jedoch nicht. Immer wieder wird darüber gesprochen, über den Wahnsinn, der Graz heimgesucht hat.

Je weiter man die Herrengasse vom Hauptplatz weg in Richtung Jakominiplatz geht, desto bedrückender wird die Stimmung. Die Stellen, an denen Menschen Kerzen, Stofftiere und Blumen abgestellt haben, werden mehr. Das Tempo der Fußgänger verlangsamt sich an diesen Gedenkstätten automatisch. Menschen bleiben stehen, machen Fotos und sind sprachlos. Zwei schwarz uniformierte Beamte der Ordnungswache Graz schreiten die Herrengasse ab. Ein Stück weiter stehen zwei Frauen mit grünen T-Shirts mit der Aufschrift „Akutbetreuung“ vor einer Kerzeninsel. Je näher man der Stadtpfarrkirche kommt, desto trauriger werden die Gesichter der Passanten. Wer diesen Weg nach der Amokfahrt zum ersten Mal passiert, kann das nicht ohne Tränen tun. Vor der Kirche befinden sich die meisten Kerzen. Jemand hat ein Schild dazugelegt, das das ausdrückt, was es ermöglicht, hier nicht völlig zu verzweifeln: „Graz hoit zamm.“

In der Kirche mussten Heurigentische aufgestellt werden, weil der Platz, der für die Kerzen vorgesehen ist, nicht ausreicht. Menschen, egal welchen Alters und welcher Herkunft, zünden Kerzen an, verweilen und trauern.

Täter lachte. Der Juwelier Hans Schullin, vor dessen Geschäft in der Herrengasse ein vierjähriges, italienisches Kind verletzt wurde, hat Tränen in den Augen, wenn er darüber spricht. Seine Mitarbeiterinnen haben Passanten betreut, den Vater des verletzten Kindes einfach nur gehalten und Menschen mit Wasser versorgt. „Es ist nicht einfach. Man will, dass endlich einmal Schluss ist“, sagt er auch in Hinblick auf die Anschläge in Tunesien.

Er selbst war vergangenen Samstag in seinem Büro und ist erst durch den Lärm darauf aufmerksam geworden, dass etwas nicht stimmt. Eine Bekannte war zum Tatzeitpunkt in einem Zuckerlgeschäft und konnte ihr Kind gerade noch zurück in das Geschäft ziehen, als der Täter vorbeiraste. „Sie hat gesagt, sie hat einen Mann am Steuer gesehen, der gelacht hat.“

Einfach reden. Helmut Reinisch, der am Hauptplatz eine Galerie betreibt, hat nur „etwas in einem Affentempo vorbeizischen“ und anschließend einen verletzten Buben auf dem Boden liegen gesehen. „Er ist dagelegen und hat zu weinen begonnen. Ich hab' mir gedacht, Gott sei Dank weint er, dann lebt er noch.“ Erst Stunden später habe er realisiert, was hier passiert ist. Reinisch erzählt das beinahe mit Routine. Immer wieder kommen Menschen in sein Geschäft, nur um zu reden. „Es klingt vielleicht komisch, aber es ist angenehm ruhig, ein bisschen besinnlich, keiner redet blöd daher“, sagt er. Nur einmal habe ein Anrainer gemeint, man müsse ins Spital fahren und den Täter umbringen. „Bist deppert, hab' ich ihm gesagt, dann begeben wir uns auf sein Niveau.“ Für ihn gehe es jetzt um das Hinhören, das Zusammenhalten – aber auch darum, sich bewusst zu werden, dass sich im Leben mit einem Schlag alles ändern kann. „Graz gehört auch zur Welt, so etwas passiert nicht nur in den USA.“

Katja Stangl, die im Akademischen Gymnasium nahe der Herrengasse unterrichtet, war nur kurz nach dem Täter auf der Grazbachgasse mit dem Auto unterwegs. Sie habe sich über die vielen Unfälle gewundert. Die Polizei habe ihr nur gedeutet, weiterzufahren. Erst daheim wurde ihr nach ein paar Telefonaten bewusst, was hier geschehen ist. „Man kann nicht mehr durch die Herrengasse gehen, ohne daran zu denken“, sagt sie. Auch sie spricht viel mit ihrer Familie, Freunden und Bekannten über diesen Tag. Darüber, wo man selbst war, darüber, wie es anderen geht. Nur über einen werde nicht gesprochen: Über jenen Menschen, der all das zu verantworten hat.

Trauerzug

Gedenkakt auf dem Hauptplatz.
Nach einem gemeinsamen Gebet der Religionsgemeinschaften sprechen Bürgermeister Siegfried Nagl, Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, Bundeskanzler Werner Faymann und Bundespräsident Heinz Fischer. Informationen unter www.graz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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