Stilles Graz: Eine Stadt trauert

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Mehrere tausend Menschen, angeführt von den Spitzen der Republik, marschierten am Sonntag durch die Innenstadt, um der Opfer zu gedenken. Und um zu zeigen, dass man in schweren Zeiten zusammensteht.

Graz. Es ist still an diesem Sonntagnachmittag in Graz. Gespenstisch still. Die Straßen der Innenstadt sind leer, nur au dem Griesplatz haben sich tausende Menschen versammelt, um der drei Toten zu gedenken, die bei der Amokfahrt am 20. Juni ums Leben gekommen sind. Und um den 36 Verletzten auf diese Weise Kraft zu schicken.

Mit einem großen Trauerzug will Graz die Trauer auch offiziell beenden und versuchen, wieder in den Alltag zurückzufinden. Viele Menschen treffen lange vor dem offiziellen Treffpunkt um 16.30 Uhr auf dem Griesplatz ein. Gegen 15 Uhr sind bereits rund 5000 Menschen da. Der Schock ist ihnen anzusehen. Man versucht sich gegenseitig zu stützen. Zu trösten. Aber ganz leise. Nur Hubschrauber sind zu hören, die über der Menschenmenge kreisen.

Nach 17 Uhr setzt sich der Tross in Bewegung, um die 1640 Meter lange Strecke zum Hauptplatz zu marschieren. Die meisten Köpfe sind zu Boden gesenkt, die Menschen sind in sich gekehrt. Kaum jemand spricht.

Es geht heute auch darum, zu zeigen, dass Graz jetzt zusammenhält. Und das ist eindrucksvoll gelungen. Der für die Organisation zuständige Magistratsdirektor Martin Haidvogl meinte im Vorfeld zur „Presse“: „Auf 20.000 Menschen sind wir gut vorbereitet.“ Ursprünglich war der Trauerzug wesentlich kleiner geplant gewesen, mit Vertretern der Stadt und des Landes. „Das hat dann eine Dynamik bekommen.“

Musik durchbricht die Stille

Auch die Spitzen der Republik, des Landes und der Stadt sind am Sonntag fast vollzählig anwesend: In der ersten Reihe marschieren unter anderem Bundespräsident Heinz Fischer, Nationalratspräsidentin Doris Bures, Bundeskanzler Werner Faymann, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, etliche Minister, Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Bürgermeister Siegfried Nagl. Die erste Gedenkstätte befindet sich in der Zweiglgasse, wo der 28 Jahre junge Ehemann Adis sein Leben lassen musste. Musik ertönt, eine Geige, eine Ziehharmonika und die Stimme einer Sängerin. Viele Menschen sind erleichtert, dass die Stille kurz durchbrochen wird. Die Musik tröstet ein wenig. Manche unterdrücken ihre Tränen, andere lassen ihnen freien Lauf. Eine Frau sucht die Hand ihres Partners und drückt sie fest. Eine andere trifft eine Bekannte und stellt die Frage, die in Graz dieser Tage so oft gestellt wird: „Wo warst du, als das passiert ist?“

Der Zug geht weiter, mittlerweile hat er die Grazbachgasse, die Wielandgasse und den Joanneumring hinter sich gelassen. Man biegt am Eisernen Tor in die Herrengasse ein – dort wo ein vierjähriger Bub und eine immer noch unbekannte junge Frau gestorben sind. Wieder erklingt getragene Musik, dieses Mal ein Cello mit Klavier.

Die Menschen nehmen Rücksicht, passen aufeinander auf. Auch jene, die ehrenamtlich im Einsatz sind, werden von der drückenden Stimmung erfasst. An die 300 Polizisten, rund 50 Mitarbeiter der Krisenintervention und der Notfallseelsorge, die Ordnungswache, die Freiwillige Feuerwehr und rund 150 Rotkreuz-Helfer sind im Einsatz.

Die Menschenmenge passiert die Stadtpfarrkirche – ein besonderer Ort der Trauer. Am Vormittag wurden hier die vielen Kerzen entlang der Route in die Kirche getragen. Die Teilnehmer halten sich an die Aufforderung, aus Sicherheitsgründen auf Kerzen zu verzichten.

Am Hauptplatz angekommen verlangsamt sich der Zug. Für jene Teilnehmer, die weiter hinten stehen, und die vielen Zuseher wurden entlang der Route Videowalls aufgebaut. Gegen 18 Uhr beginnt der Gedenkakt. Auch hier ertönt Musik – ein Cello, dann singt der Chor des Gymnasiums HIB-Liebau. Die Vertreter der Religionsgemeinschaften betreten die Bühne, auf deren schwarzem Hintergrund „Graz trauert“ geschrieben steht. Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl spricht gemeinsam mit Superintendent Hermann Miklas, dem Vorsitzenden der Islamischen Glaubensgemeinschaft Graz, Ali Kurtgöz, und Rabbiner Schlomo Hofmeister ein Gebet.

„Möge unser Glaube uns helfen, unseren Schmerz auszuhalten. Begleite Du, Gott, uns durch unsere Trauer“, sagt Krautwaschl. Die Menschen nicken, als er sagt: „Als Gemeinschaft sind wir jetzt aufgerufen, zusammenzustehen, auf die Menschen in unserem Umfeld zuzugehen und da zu sein.“

Nagl: „Schrecklichster Tag“

Auch seine Nachredner – Nagl, Schützenhöfer, Faymann und Fischer – besinnen sich auf den Zusammenhalt. Nagl, der die Amokfahrt miterlebt hat, spricht vom „schrecklichsten Tag“ seines Lebens. Aber auch von der „gesellschaftlichen Stärke des Zusammenhalts“. Auch ohne Worte ist sie hier zu spüren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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