Großes Finale im Alijew-Prozess

Die Angeklagten Vadim Koshlyak (li.) und Alnur Mussajew - und im Hintergrund Staatsanwältin Bettina Wallner.
Die Angeklagten Vadim Koshlyak (li.) und Alnur Mussajew - und im Hintergrund Staatsanwältin Bettina Wallner.APA/Roland Schlager
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Die Anklage will Mord-Verurteilungen für die beiden Beschuldigten. Aber „halten“ die Vorwürfe? Oder kommt es vielleicht zu einem "Kompromiss-Urteil"?

Eine (buchstäblich) düstere Szenerie: Der Gerichtssaal ist abgedunkelt. Anklage und Verteidigung halten ihre Plädoyers. Diese werden mit Powerpoint-Präsentationen aufgefettet. Dazu muss das Licht abgeschaltet werden. Und das alles bei etwa 37 Grad Celsius. Sowohl die Geschworenen als auch die zahlreich erschienenen Zuschauer fächern sich selbst unentwegt mit Papieren Luft zu. Zwei der drei Berufsrichter haben sogar (und das kommt sehr selten vor) ihre Talare abgelegt. Nein, weder Klimaanlage noch Lüftung gibt es in jenem Saal des Straflandesgerichts Wien, in dem am Mittwoch der Prozess des Jahres, der Alijew-Prozess, ins Finale geht.

Zur Erinnerung: Rachat Alijew, einst kasachischer Botschafter in Wien, Ex-Schwiegersohn des kasachischen Despoten Nursultan Nasarbajew, soll im Februar 2007 in Almaty, Kasachstan, die Banker Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov aus Geldgier erdrosselt haben. Am 24. Februar dieses Jahres fand man Alijew erhängt in seiner Wiener U-Haft-Zelle auf. Es war Suizid.

Im Prozess mussten sich dann die verbliebenen Mitangeklagten, Ex-Alijew-Sicherheitsmann Vadim Koshlyak und der einstige Alijew-Vertraute Alnur Mussajew, wegen Mittäterschaft verantworten. Letzterer war einst Chef des mächtigen kasachischen Geheimdienstes KNB. Beide Männer bekannten sich von Anfang an nicht schuldig.

Urteile werden am Freitag verkündet

Bevor Mittwochfrüh die Plädoyers starteten, wurde noch schnell die Anklage geändert: Mussajew wird nun, außer Mord, auch Freiheitsentziehung vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist Koshlyak von Anfang an gemacht worden. Beobachter mutmaßten gleich, dass es nun ein „Kompromiss-Urteil“ geben könne. Theoretisch könnten die Geschworenen die Mordvorwürfe – im Zweifel für die Angeklagten – fallen lassen, die beiden Männer aber dennoch verurteilen. Eben wegen Freiheitsentziehung. All das ist offen und wird sich am Freitag (10. Juli) weisen. An dem Tag ist die Urteilsverkündung vorgesehen.

Staatsanwältin Bettina Wallner sagte nun, dass das von der Verteidigung ins Treffen geführte Geheimdienst-Komplott zu Lasten der Angeklagten nicht stattgefunden habe. In dem Fall hätte der KNB wohl direkte „Tatzeugen“ aufgetrieben. Leute nämlich, die angeblich gesehen haben sollen, dass Alijew die Morde begangen habe. Solche "falschen" Zeugen seien aber nie aufgetaucht. Vielmehr habe es die Staatsanwaltschaft mit eine Vielzahl von Zeugen zu tun gehabt, die teils widersprüchlich ausgesagt hätten. Dies ändere aber nichts daran, dass Alijew und die beiden mutmaßlichen Mittäter die Schuldigen seien.

Interessant war schließlich die Begründung für das Festhalten der Anklage an den - wenn auch teils widersprüchlichen - belastenden Angaben der Zeugen: Es entspreche eben der "kasachischen Mentalität", wenn man als Zeuge nicht gleich konkrete Angaben mache. Oder wenn man ausweichende Antworten gebe. Weiters habe es durch die Übersetzung der Angaben der Zeugen aus dem Russischen Reibungsverluste gegeben.

Und noch einen Grund nannte Wallner: "Teilweise wurde den Zeugen auch nicht die Zeit gegeben, ihre Aussagen zu machen." Damit kritisierte die Anklägerin - diese wurde übrigens flankiert von einem zweiten Staatsanwalt, Markus Berghammer - das Gericht, konkret den vorsitzenden Richter Andreas Böhm.

Doppelrolle bei Litigation PR 

Die Sozietät, die die Witwen der mutmaßlichen Alijew-Opfer vertritt, die Wiener Anwaltskanzlei Lansky Ganzger und Partner, LGP, hielt ebenfalls einen Schlussvortrag. Anwalt Gerald Ganzger geißelte darin die Litigation PR. Also die von spezialisierten PR-Experten vorgetragenen Bemühungen, bestimmte, die öffentliche Meinung prägenden Elemente in die Berichterstattung der Medien einfließen zu lassen.

Als Beispiel für ein Produkt der Litigation PR seitens der Verteidigung nannte Ganzger die Geschichte von Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer und dessen Beratungstätigkeit für den kasachischen Präsidenten Nasarbajew. In diesem Zusammenhang waren Mails zwischen Gusenbauer und der Kanzlei LGP aufgetaucht und medial thematisiert worden. Was Ganzger allerdings nicht dazu sagte: Auch LGP bedient sich ziemlich konsequent der Litigation PR. Und auch das offizielle Kasachstan, das offensichtlich stark an einer Verurteilung Alijews interessiert ist, hat den Wiener Anwalt Richard Soyer und der wiederum einen Litigation PR-Spezialisten im Schlepptau.

"Angriff auf Österreichs Rechtsstaatlichkeit"

Indessen wies die Verteidigung, Anwalt Martin Mahrer für Mussajew und Anwalt Walter Engler für Koshlyak, daraufhin, dass es praktisch keine Beweise für Mord gebe. Die gesamte Sache sei von Kasachstans autoritärem Führer Nasarbajew gelenkt worden. Mahrer sprach von einem "Lügengebäude", das von der kasachischen Führung errichtet worden sei. Und von einem "Angriff auf die österreichische Rechtsstaatlichkeit".

Nasarbajew übe via Gerichtsverfahren "Rache", weil sich Alijew, einst sein Schwiegersohn, von ihm abgewandt habe. Staatsanwältin Wallner habe sich von kasachischer Seite instrumentalisieren lassen. Die Kanzlei LGP habe als Privatbeteiligtenvertretung "einen Pakt mit dem Teufel geschlossen" und als vorgebliche Opfervertretung 14 Millionen Euro für eine Anti-Alijew-Kampagne ausgegeben, behauptete Mahrer. 

Hier ist allerdings anzumerken, dass Alijew nach dem Tatzeitpunkt noch einmal als Botschafter nach Wien entsandt worden war. Dies freilich mit dem Wissen Nasarbajews. Wollte also die kasachische Führung Alijew vorerst noch aus der Schusslinie nehmen? Dies lässt sich nunmehr schwer rekonstruieren. Jedenfalls waren es dann die Aktivitäten der Witwen - diese schalteten Behörden und Medien ein, um ihre Männer zu finden - die dafür sorgten, dass Alijew unter Druck geriet.

Aber zurück zu den Plädoyers. Anwalt Engler ergänzte: Für die kasachische Führung diene Österreich als Bühne. Hier könne die kasachische Führung zeigen, was "Abtrünnigen" auch im Ausland noch passieren könne.

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