Twin City Walk: Ein Marsch zu Fuß von Wien nach Bratislava

Twin City Walk
Twin City WalkErich Kocina
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Vergangenes Jahr gab es den Plan eines Linienfluges von Wien nach Bratislava. Er kam letztlich nicht, doch die Herausforderung ist trotzdem noch da – statt im Flugzeug einfach zu Fuß von einer Stadt in die andere zu gehen.

Erinnert sich noch jemand an die Pläne, einen Flug zwischen Wien und Bratislava einzurichten? Vor rund eineinhalb Jahren hatte die Fluglinie Flyniki dieses Vorhaben präsentiert – doch letztendlich hat sie kalte Füße bekommen und den kürzesten Linienflug zwischen zwei Hauptstädten nicht ins Programm aufgenommen. Schade, eigentlich. Denn da hätte sich ein hübscher Vergleichskampf ergeben – wie oft bietet sich schon die Gelegenheit, eine internationale Flugstrecke in einem Tagesmarsch zu Fuß zu absolvieren. Aber gut, nur weil die Fluglinie nicht will, muss man ja den Fußmarsch nicht auch gleich sein lassen.

Dass die beiden Städte, die sich so gern als Twin Cities vermarkten – etwa mit dem Twin City Liner, der die Donau entlangbrettert –, noch nicht auf die Idee gekommen sind, eine Wanderroute zu installieren, ist ja fast schon erstaunlich. Als Twin City Walk ließe sich da doch sicher etwas machen. Bleibt nur die Frage, welche Strecke man nimmt. Von Flughafen zu Flughafen sind es etwa 50 Kilometer Luftlinie. Vom Stephansplatz bis in die Altstadt von Bratislava sind es knapp 55 Kilometer – ebenfalls nur auf einer gedachten Luftlinie – zu fliegen ist diese Strecke ja nur bedingt. Zu Fuß muss man aber in jedem Fall ein wenig mehr einplanen.

Der erste Gedanke an eine mögliche Route führt natürlich entlang der Donau – doch was mit dem Fahrrad gut funktioniert, muss bei einer Wanderung nicht auch gut gehen. Ein Radweg ist halt doch nur ein Radweg – und ein bisschen landschaftlicher Reiz und Abwechslung wären beim Wandern auch nicht schlecht. Also lieber eine andere Route, die landschaftlich etwas abwechslungsreicher ist. Wobei das Marchfeld zugegebenermaßen eine, sagen wir, flache Angelegenheit ist.

"Wampertes Kreuz". Letztlich bietet sich eine Route an, die von Stadtgrenze zu Stadtgrenze etwa 40 Kilometer lang ist – und fast ausschließlich über Feldwege führt. Der Start ist am Rande von Wien in Neuessling – der Bus 24A fährt von der U1-Station Kagraner Platz fast bis zum Stadtrand. Und unmittelbar beim Start der Wanderung wartet schon eines der touristischen Highlights: Der Bildstock Weißes Kreuz – im Volksmund auch „Wampertes Kreuz“ genannt. Die Sage berichtet, dass ein Ritter, der nach langer Zeit aus dem Osten heimkehrte, ihn errichtete. Und seine Frau, die inzwischen von einem anderen Mann ein Kind erwartete, darin einmauerte. (Bei der Renovierung des Marterls 2009 konnte allerdings kein Hinweis darauf gefunden werden.)

Die ersten zwei bis drei Kilometer sind noch unangenehm – weil der Weg über das Bankett der Landesstraße L2 führt und Autos vorbeirasen. Doch ab Raasdorf – ein typisches Angerdorf mit Pfarrkirche zur heiligen Maria Magdalena in der Mitte – wird es interessant. Denn ab dann geht es auf den Feldweg, irgendwo zwischen Spargelfeldern und Windrädern. Die gehören auf dem Twin City Walk zu den markantesten Erhebungen in der Landschaft. Nicht wahnsinnig originär, soll heißen, sie schauen alle sehr ähnlich aus. Aber im Ensemble erzeugen sie eine eigene Ästhetik, vor allem in Kombination mit ihrem monotonen Surren.

Es geht vorbei an Großhofen, der mit 90 Einwohnern kleinsten Gemeinde Niederösterreichs – und ihrem Wahrzeichen, der Ortskapelle des heiligen Laurentius. Die ist zwar nur sehr schlicht, aber Interessierte können darin ein Bild des Namensgebers der Kapelle aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehen. Zugegeben, das ist recht schnell erledigt. Dafür geht es dann weiter nach Glinzendorf, wo man überlegen kann, die im Kern romanische und dann barocke Filialkirche zur heiligen Katharina zu besuchen. Doch ausgedehntes Sightseeing als Ablenkung von der Anstrengung ist zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht angebracht – immerhin hat man ja noch nicht einmal zehn Kilometer hinter sich.

Die nächste Menschenansiedlung folgt mit Untersiebenbrunn – Fußballconnaisseure kennen diese kleine Gemeinde wegen des SC Untersiebenbrunn, der von 1999 bis 2005 sechs Saisonen lang in der Ersten Division spielte. Das Stadion ist dann auch der markanteste Blickfang. Und weil wir gerade beim Namen sind, im Jahr 1115 wurde er erstmals erwähnt und bezieht sich auf die sieben Quellen des Stempfelbaches. Aber versuchen Sie nicht, sich auf die Suche nach denen zu machen – die Zahl sieben stand nämlich nur stellvertretend dafür, dass es viele sind.

Etwa dreieinhalb bis vier Stunden (je nach Tempo) nach dem Start bietet sich in Untersiebenbrunn eine erste Einkehr an. Einheimische empfehlen etwa das Gasthaus Summerer, das zu Mittag immer nur eine Speise (etwa gebackene Fleischlaberln mit Rote-Rüben-Salat) zu einem recht günstigen Preis serviert. Als Wanderer fällt man übrigens auf. „Seid's ihr mit dem Radl oder mit dem Auto da“, fragt die Kellnerin. „Zu Fuß.“ Introvertiertes Kopfschütteln, Kellnerin geht ab.

Entlang der Trasse der Marchegger Ostbahn geht es dann ziemlich endlos geradeaus. Falls Sie genau an diesem Streckenabschnitt von einem spontanen Wolkenbruch überrascht werden, ist das Pech. Denn unterstellen ist hier kaum möglich. Es bietet sich auch an, das Handy in einem wasserdichten Beutel verpackt zu haben und es erst wieder herauszuholen, wenn der Regen vorbei ist. Vorbei geht es schließlich am Kieswerk (inklusive dem Warnschild „Achtung Bergbaugebiet“) bis zum Bahnhof Lassee. Der ist erstens ziemlich ruhig. Und zweitens auch so etwas wie eine Sehenswürdigkeit – denn vor dem Fall des Eisernen Vorhangs dürfte er auch nicht anders ausgesehen haben. Nach etwas mehr als 20 Kilometern wandern kann man hier also auch noch eine Zeitreise erleben.


Fliesengeschäft statt Gastronomie. Irgendwann – wir halten mittlerweile bei etwa 25 Kilometern – geht die Strecke südöstlich nach Breitensee. Wer ein bisschen Wallfahrtflair aufkommen lassen möchte, kann in der den beiden Heiligen Petrus und Paulus geweihten Pfarrkirche vorbeischauen. Die ist zwar nur eine ehemalige Wallfahrtskirche, aber so genau muss man es ja nicht nehmen. Eine Einkehr ist in Breitensee allerdings schwierig – „Na, Gasthaus haben wir keines“, sagt eine Einheimische, „aber ein Fliesengeschäft“.

Es geht also weiter querfeldein – die nächste Etappe ist schon Schloßhof, in dem das gleichnamige, aber mittlerweile anders geschriebene, Schloss Hof steht. Das größte der Marchfeldschlösser lockt Touristen unter anderem mit einem Barockgarten, bestehend aus sieben Terrassen und der berühmtem Patisserie Prinz Eugen. Hier im Rahmen der Wanderung auf einen Kaffee und eine Torte zu gehen, ist allerdings teuer – denn ohne Tageskarte zu 13 Euro (Kinder und Jugendliche acht Euro) wird man gar nicht erst in die Nähe des Cafés gelassen. Immerhin, der Gasthof Prinz Eugen neben dem Schloss empfängt Gäste auch ohne Ticket. Zu diesem Zeitpunkt ist man schon an die 34 Kilometer gewandert – die Füße können sich da schon mit der Bitte um Gnade melden.

Allerdings ist es jetzt nicht mehr allzu weit. Es folgt quasi die Zielgerade – vom Schloss aus sind schon die Plattenbauten von Devínska Nová Ves zu sehen. Und dabei handelt es sich schon um einen Stadtteil von Bratislava. So, als würde man in Wien vor der Nordrandsiedlung auftauchen. Hier begegnet man auch wieder mehreren Spaziergängern – auf den Feldwegen zuvor hat sich noch kein allzu starker Wandertourismus etabliert, warum auch immer.

Die Druckstellen und Blasen in den Schuhen sind schon spürbar, wenn es auf die Fahrradbrücke der Freiheit geht. Die wäre übrigens fast nach US-Actionstar Chuck Norris benannt worden – in einer Internetabstimmung in der Slowakei hatte eine Mehrheit dafür gestimmt. Allein, die slowakische Politik akzeptierte das Ergebnis nicht. (Auf Google Maps wird das Gebilde trotzdem „Cyklomost Chucka Norrisa“ genannt.) Im September 2012 wurde das hügelige Brückenkonstrukt mit einer Gesamtlänge von 550 Metern schließlich eröffnet.

Und irgendwo mitten auf der Brücke ist man plötzlich in der Slowakei – auf dem Gebiet von Bratislava. Das Ziel, von Stadt zu Stadt zu gehen, ist damit erreicht. Und es bietet sich an, ein Selfie mit erschöpften, aber glücklichen Gesichtern zu machen, falls man diese Art von Erinnerungen mag. An der Grenze kann man das Bild noch über das österreichische Netz und ohne Roaming auf Facebook stellen. Im kleinen Biergarten direkt nach der Brücke bietet sich eine Pause an. Und die Überlegung, ob man noch zu Fuß ins Zentrum weitergehen möchte. Bis dahin sind es allerdings an die 15 Kilometer. Im Zweifelsfall also lieber Straßenbahn und Bus nehmen. Je nach Geschwindigkeit und Pausen war man schließlich schon rund 40 Kilometer und neun bis elf Stunden unterwegs.

Eigentlich schade, dass der Flug zwischen den beiden Städten nicht zustande kam. Sonst hätte man dann wieder heimfliegen können. Aber egal, im Zweifel nimmt man halt den Twin City Liner. Zu Fuß retour wäre dann doch ein bisschen heftig.

Twin City Walk

Streckenprofil: Die 37 Kilometer lange Route startet in Neuessling an der Endstation der Buslinie 24A. Endstelle ist der Straßenzug Na Mýte in Devínska Nová Ves, hier halten die Buslinien 20, 21, 28 und N21. Die Route verläuft nahe der Marchegger Ostbahn, ein Umsteigen auf den Regionalzug ist möglich in Raasdorf, Glinzendorf, Siebenbrunn-Leopoldsdorf, Untersiebenbrunn und Schönfeld-Lassee.

Schwierigkeitsgrad: Die Route führt durch das flache Marchfeld, es gibt keine nennenswerten Steigungen. Die Feld- und Güterwege sind in der Regel nicht asphaltiert, aber in einem guten Zustand.

Orientierung: Der Weg ist, da keine offizielle Wanderroute, nicht beschildert. Es empfiehlt sich, die Route auf das Smartphone zu laden. Google Maps und Open Street Map bieten eine gute Abdeckung des Wegenetzes.

Verpflegung: Gastronomie und Nahversorger finden sich nur spärlich. Proviant und Getränke mitnehmen.
Mögliche Einkehrpunkte: Gasthaus Summerer, Hauptstraße 10, 2284 Untersiebenbrunn.
Gasthof Prinz Eugen, Prinz-Eugen-Straße 1, 2294 Schloßhof

Highlights: Schloss Obersiebenbrunn, barockes Gartenschloss, das heute als Kloster genutzt wird.
Schlosshof, größtes der sechs Marchfeldschlösser, www.schlosshof.at
Fahrradbrücke der Freiheit (Cyklomost Slobody), 2012 wurde die neue Brücke über die österreichisch-slowakische Grenze eröffnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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