Wie geht es mit Amokfahrer Alen R. weiter? Was wird, was kann im Rahmen des Strafverfahrens alles passieren? Wie stark ist die Rolle der Gutachter? Eine Analyse.
Die Situation hätte so nicht eintreten müssen. Die Grazer Justiz hätte nicht drei psychiatrische Gutachter beschäftigen müssen. Einer hätte gereicht. Hätte, wäre . . . Es ist, wie es ist. Ein von der Justiz bestellter Obergutachter, der Chefarzt Jürgen Müller vom Fachklinikum im deutschen Göttingen, meint, dass der Amokfahrer Alen R. (27), an paranoider Schizophrenie leide. Und nicht zurechnungsfähig sei.
Was bisher geschah: Gleich nach der Amokfahrt wurde R. festgenommen. Ein Staatsanwalt eröffnete ein Strafverfahren. Weil es so aussah, als könne R. psychische Probleme haben, bestellte der Ankläger einen Gutachter, den in Graz tätigen Psychiater und Neurologen Peter Hofmann. Dieser sollte eine Expertise ausarbeiten. Zur Vorlage im Strafprozess.
Doch zunächst stand die Frage an: Wohin sollte der gebürtige Bosnier, der als Autohändler gearbeitet hatte und wegen häuslicher Gewalt aufgefallen war, gebracht werden? In eine U-Haft-Zelle oder in eine geschlossene psychiatrische Abteilung? Dies hatte ein Haftrichter zu entscheiden. Binnen 48 Stunden. Und so nahmen die Verwicklungen ihren Lauf.
Der Richter brauchte einen Gutachter. Also bestellte er kurzerhand einen. Jedoch nicht den, der bereits vom Staatsanwalt engagiert worden war. Das hätte er zwar tun können, tat er aber nicht. Er hatte freie Wahl. Und holte sich den Grazer Universitätsprofessor Manfred Walzl. Dieser hatte keine Einwände gegen die U-Haft, R. sei zurechnungsfähig, meinte Walzl.
Nach dieser Ad-hoc-Begutachtung arbeitete Walzl eine ausführliche Expertise aus. Das Resultat: R. habe die Tat zwar unter dem Einfluss einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades begangen, sei aber – wie schon bei der U-Haft-Frage festgestellt – durchaus zurechnungsfähig.
Keine Haft, „nur“ Anstalt? Was noch fehlte, war die Expertise des vom Staatsanwalt beauftragten Psychiaters. Als diese schließlich vorlag, trat kollektive Verlegenheit ein: Psychiater Hofmann kam zum Resultat: R. sei nicht zurechnungsfähig. So wurde die Bestellung eines Schiedsrichters, eben des deutschen Experten Müller, nötig. Der Rest ist bekannt: Müller entschied (auch) auf Unzurechnungsfähigkeit.
Warum das so wichtig ist? Wer zur Tatzeit nicht zurechnungsfähig ist, kann auch nicht bestraft werden. Man kann einen solchen Täter zwar auf unbestimmte Zeit in eine psychiatrische Anstalt einweisen (aktuell wird R. in der Sonderanstalt Göllersdorf, NÖ, angehalten), aber eben nicht zu einer Haftstrafe verurteilen. Eine solche könnte bei einer Mordanklage auch lebenslang lauten.
So gesehen sind die Weichen für R. schon gestellt. Freilich ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Entscheiden werden acht Geschworene, Laienrichter – Vertreter des Volkes. Theoretisch könnten diese trotz der Gutachten auf Zurechnungsfähigkeit und damit auf eine Haftstrafe entscheiden. Theoretisch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)