Mit Orson in der Unterwelt

(c) Stanislav Jenis
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Anton Karas' berühmtes Harry-Lime-Thema begleitet Besucher auf den Spuren des Orson-Welles-Filmklassikers hinunter in den Bauch der Bundeshauptstadt. Geführt wird die "Dritte Mann"-Tour von echten Kanalarbeitern.

Die Hausratte ist gerade leider nicht zu Hause. Oft soll sie hier mit ihrer Familie im unterirdischen Gewölbe am betonierten Ufer des Wienflusses sitzen und Besucher in ihrer eigenartigen Welt willkommen heißen. Man möge doch einmal alle Stirnlampen ausschalten, schlägt Thomas Weigl vor. „Und jetzt machen Sie die Augen zu und hören einfach nur hin.“ Das klare Wasser plätschert leise, der leichte Wind ist angenehm frisch. Gemeinsam mit seinem Kollegen, sagt Weigl, würde er das jeden Morgen vor den Führungen tun. Noch bevor die ersten Besucher kommen, sind die Kanalarbeiter unterwegs, um die Lage zu überprüfen. Denn dass Touristen in den unsichtbaren Bauch einer Stadt dürfen, ist nicht selbstverständlich – und bei drohendem Regen sogar gefährlich, das Wasser steigt hier unten schnell.


Einstieg. An diesem Vormittag hat es zum Glück nur kurz geregnet. Die Sonne scheint schon wieder, als sich die Gruppe beim Einstieg am Girardipark auf dem Karlsplatz trifft. Genau hier, vis-à-vis vom Café Museum, flüchtete einst Orson Welles hinab in den Kanal. Führer Michael Heinrich deutet auf einen Balkon: Der ist auch im „Dritten Mann“ zu sehen. Der „Citizen Kane“-Regisseur war schon ein Star, als er Ende der Vierzigerjahre als Schauspieler die Rolle des zwielichtigen Harry Lime übernahm – und eigentlich hatte er nicht wirklich Lust dazu. Schon gar nicht auf die am wenigsten repräsentativen Seiten des zerbombten Nachkriegs-Wien. Wie es heißt, soll er darauf bestanden haben, dass sämtliche Wände des Kanals mit Seifenlauge gewaschen wurden, ehe er sie betrat. Und was im Film fließt, ist nur klares Wasser.

So ein Service wird den Besuchern, die auf seinen Spuren wandeln, freilich nicht zuteil. Aber auch wenn Wien Kanal erklärt, für verschmutzte und beschädigte Kleidung nicht zu haften – die Angst ist unbegründet. Nur rutschfestes Schuhwerk ist empfehlenswert. Dazu bekommt man eine Art Chirurgenhäubchen, darauf kommt der Helm.

Damit geht es die Wendeltreppe hinunter. Die Luft wird kühler und trägt bereits den typischen Geruch. „Wie in einem nassen Keller“, haben ihn die Kanalarbeiter vorab beschrieben. „Vielleicht ein bissl strenger.“ Wem es zu viel sei, der möge sich melden – „dann gehen wir mit der Person hinauf“. Das Gleiche gelte für Anflüge von Klaustrophobie. Wobei man sich auf die Vorauswahl des Filmteams verlassen darf: Wo damals gedreht wurde, kommt man ziemlich bequem hin.

Das gilt freilich nicht für alle Teile in Wiens riesigem Kanalnetz. Es gibt Stellen, die von Mitarbeitern bis heute in gebückter Haltung händisch mit einem Schimmel genannten Schieber freigeräumt werden (und sei es von achtlos hinweggespülter Katzenstreu). Wenn es da über einem plötzlich rauscht, grinst Michael Heinrich, bringt man sich lieber ein paar Meter weiter in Sicherheit.

Das ist nämlich die eigentliche Überraschung der „Dritten Mann“-Tour: Dass sämtliche Männer, die hier in ihre Arbeitswelt führen, echte Kanalarbeiter sind. Die sich „im Radl“ um Besucher kümmern, den Rest der Zeit aber um die Hygiene der Stadt. Danke dafür! Und für den Anstoß, sich endlich den Filmklassiker zu Gemüte zu führen: Von dem bleibt nicht nur Anton Karas' Harry-Lime-Thema hängen.

Die tour

„Der Dritte Mann“ (1949) von Carol Reed nach einem Buch von Graham Greene läuft regelmäßig im Burgkino. Die Kanaltour findet von Mai bis Oktober von Donnerstag bis Sonntag zwischen 10 und 20 Uhr stündlich statt. Tickets: 7 Euro, Anmeldung: 01/4000-3033. Daneben gibt es einen Walk und das „Dritte Mann“-Museum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

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