Allentsteig: Soldat starb wegen Zünderfehlfunktion

(c) APA (Georg Hochmuth)
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Die defekte Zündvorrichtung explodierte beim Laden einer Panzerhaubitze. Zünder und Granate waren 16 bzw. 22 Jahre alt – laut Heeresführung ein Alter, in dem ein gefahrloser Verschuss möglich sein muss.

Wien/Allentsteig. Zwölf Sprenggranaten hatte die Panzerhaubitze M-109 A5Ö aus dem steirischen Feldbach am vergangenen Mittwochvormittag bereits in die Allentsteiger Luft gefeuert. Die 13.sollte das Rohr der mit fünf Mann besetzten Artilleriewaffe nie verlassen. Sie explodierte noch im Laderaum, kostete den 20-jährigen Korporal und Richtschützen Patrick W. das Leben. Sein Kamerad, der 19-jährige Grundwehrdiener Andreas N., wurde schwer verletzt. Die drei übrigen Besatzungsmitglieder verließen das 28 Tonnen schwere Kriegsgerät geschockt, aber unverletzt. Seit Donnerstag kennt das Bundesheer den Grund für den Zwischenfall. Der „Schuldige“ heißt im von Abkürzungen geprägten Militär-Sprech „AZ 88“, wobei AZ für Aufschlagzünder steht, und wurde im Jahr 1993 in Deutschland produziert.

Die Feuerprozedur

In der Haubize erfolgt ein Abschuss so: Erst wird die eigentliche Granate mit eingeschraubtem Zünder geladen, dahinter folgen die Treibladungen. Nur diese werden zur Explosion gebracht, wodurch die Granate aus dem Rohr "schießt". Nach etwa 20 Sekunden wird sie scharf. Die Trennung zwischen Granate und Treibladung ist notwendig, um die Schussweite genau bestimmen zu können. Sie wird durch die Pulvermenge der Treibladungen einerseits und den Rohrwinkel andererseits definiert.
Nach jedem Schuss muss das Rohr gereinigt werden. Wenn etwa noch glühende Reste im Zündraum verbleiben, so kann die frische Treibladung zu früh zünden.

„Menschliches Versagen oder einen Defekt an der Haubitze können wir ausschließen“, sagte Günter Höfler, Generalleutnant und Kommandant der Streitkräfte. Die ganze Nacht hatten Sachverständige des Bundesheeres den Unglückspanzer untersucht. So konnte der Zwischenfall minutiös rekonstruiert werden.

Granate ging nach hinten los

Nachdem Richtschütze Patrick W. das Kommando ausgeführt und die Waffe ausgerichtet hatte, brachte Ladeschütze Andreas N. die etwa 42 Kilogramm schwere Sprenggranate, in deren Spitze ein Aufschlagzünder eingeschraubt war, in den Laderaum des Rohrs. In dem Moment, in dem N. die Treibladung aus Schwarzpulver nachschieben wollte, muss der Zünder, er enthält eine vergleichsweise geringe Menge Sprengstoff, detoniert sein. Durch die Druckwelle schoss die Granate aus dem nach hinten noch offenen Rohr, explodierte teilweise, und erschlug den rechts dahinter stehenden W. Er war auf der Stelle tot. Glück im Unglück hatten N. und die anderen drei Soldaten. Weil die sogenannte „Explosionsunterdrückungsanlage“ der Haubitze sofort reagierte und binnen Bruchteilen von Sekunden den Sauerstoff aus dem Inneren des Panzers saugte, explodierten die Granate und die Treibladung, die N. gerade in Händen hielt, nur teilweise. Das, so die Heeressachverständigen, und die Tatsache, dass alle Soldaten wie vorgeschrieben flammhemmende Anzüge trugen, retteten ihnen das Leben.

Warum der Zünder im Laderaum detonierte, konnte allerdings nicht geklärt werden. Normalerweise stellt dieser sich selbst und die Granate erst dann scharf, wenn das Geschoss das Rohr der Waffe längst verlassen hat. Militärs nennen das „Vorrohrsicherheit“. Beim betroffenen Modell, sagt Rainer Karasek, Waffenchef der österreichischen Artillerie, beträgt sie 50 Meter. Technisch funktioniert das, indem bestimmte Mechanismen im Zünder erst durch Beschleunigung und Drall, die beim Abschuss auf das Geschoß einwirken, ausgelöst werden. Es ist naheliegend, dass diese Mechanismen im konkreten Fall versagten.

Der Unglückszünder, das geht aus den Waffenpapieren hervor, wurde im Jahr 1993 in Deutschland von der Rüstungsfirma Rheinmetall Defence produziert. Die Sprenggranate ist noch älter, nämlich Baujahr 1987, und stammt von der Firma Assmann aus Österreich.

Lagerdauer entsprach Vorschrift

Obwohl insbesondere Zünder von Artilleriemunition besonders sensibel auf zu lange Lagerung reagieren, hält das Bundesheer fest, dass die verwendete Munition keinesfalls „überlagert“ war. Zünder und Granate seien demnach mindestens 30 Jahre lagerfähig, was für den Zünder ein theoretisches „Ablaufdatum“ von 2023, für die Granate von 2017 ergäbe.

Gerade die hochsensiblen Zünder werden während ihrer Lagerung regelmäßig auf Funktionstüchtigkeit und Gebrauchssicherheit überprüft. Beim Unglückszünder war das zuletzt im Jahr 2003 der Fall. Nun werden alle Zünder vom Typ AZ 88 mit dem Produktionsjahr 1993 erneut überprüft und bis auf Weiteres für die Verwendung gesperrt.

Die Frage, warum die Artillerie, die zehnmal jährlich in Allentsteig übt, 16 bis 22 Jahre alte Munitionsteile verschießt, und nicht einfach auf Bestände jüngerer Jahrgänge zurückgreift, habe mit der komplizierten Logistik zu tun. Gemäß den Vorschriften sei das Heer verpflichtet, gewisse Lagerbestände an Munition (aber auch anderer Güter) anzulegen, um diese im Ernstfall nicht erst bestellen zu müssen. In einem solchen Vorrat gebe es immer Bestände, die älter sind als andere. In der Praxis würden daher stets die ältere Munition verschossen, während die neue ins Lager komme. Alles andere wäre unwirtschaftlich.

Der bei dem Unfall an den Händen schwer verletzte Grundwehrdiener konnte am Donnerstag die Intensivstation verlassen. Laut Ärzten bestehe die Hoffnung auf „vollständige Genesung“. Die Endergebnisse der Untersuchungskommission sollen in sechs Wochen vorliegen.

AUF EINEN BLICK

Am Mittwoch kam es am Truppenübungsplatz in Allentsteig bei einer Artillerieübung zu einem tödlichen Zwischenfall. Im Inneren einer Panzerhaubitze M-109 A5Ö explodierte ein Zünder. Ein 20-jähriger Berufssoldat wurde von der ins Innere ausweichenden Granate erschlagen. Ein 19-jähriger Grundwehrdiener wurde schwer verletzt.

M109

Die Panzerhaubitze M-109 A5Ö ist das Waffensystem der Artillerie des Österreichischen Bundesheeres. Das Geschütz ist mit einem elektronischen Feuerleitsystem und einer Selbstfahrlafette mit modernen Richt- und Beobachtungsmitteln ausgestattet. Jede Panzerhaubitze verfügt über eine Trägheitsnavigations-, Orientierungs- und Richtanlage. Die Panzerhaubitze hat eine Motorleistung von 440 PS und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 56 km. Die Höchstschussweite reicht bis zu 30 km.

Die M109 ist eine Panzerhaubitze aus amerikanischer Produktion, die seit den 1950er Jahren entwickelt wurde und seit 1962 Bestandteil der Artillerieverbände vieler Nato-Staaten ist. Die neueste Version, die M109A6 Paladin, bildet bis heute das Rückgrat der Artillerie der US Army.mehr ...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2009)

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