Der angeklagte Ex-Banker S. will kein Mörder sein: „Der Schuss ging auf einmal los.“ Seine Ex-Frau, sie ist Staatsanwältin, wollte nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen.
Wien/Korneuburg. Der Saal 16 des Landesgerichts Korneuburg ist an diesem Montagvormittag ganz besonders stark frequentiert. Um die 140 Personen sind da. Der Richtersenat, die Anklage, die Verteidigung, Opfervertreter, mehrere Gutachter, Zuschauer, Justizwachebeamte – und natürlich er. Der Angeklagte. Einst Vorstandsmitglied einer österreichischen Privatbank und erfolgreicher Fondsmanager, 45 Jahre alt, dunkler Anzug, ergrautes Haar.
Mord? Nein, das nicht, sagt er. Er habe doch gar keinen Grund gehabt, seinen eigenen Stiefbruder zu erschießen. Denn: „Er war mein bester Freund. Er war der Mensch, mit dem ich die meiste Zeit verbracht habe.“ Fahrlässige Tötung? Das ja.
Es war spätnachts in der Wiener Wohnung von S. Beide tranken reichlich Bier und Wein. S. holte – wieder einmal – seine beiden Faustfeuerwaffen aus dem Tresor, zerlegte sie, baute sie wieder zusammen. Die Glock war durchgeladen. S.: „Auf einmal geht der Schuss los, ich denk' mir: Scheiße, hoffentlich ist nichts passiert.“ Doch es ist sehr viel passiert.
Der Stiefbruder des Bankers, 43, Vater zweier Kinder, ebenfalls Fondsmanager und Arbeitskollege von S., wird an diesem 18. September 2015 von einem Projektil knapp oberhalb der linken Augenbraue getroffen. Und stirbt an Ort und Stelle.
S.: „Ich denk' mir noch: Der Schuss ist danebengegangen, doch dann sehe ich viel Blut am Boden.“ Und er fügt mit leiser Stimme an: „Durch meine unglaubliche Dummheit habe ich diese Katastrophe für so viele Menschen angerichtet.“
Die Anklage relativiert das Mordmotiv
Dummheit? Staatsanwältin Gudrun Bischof hat S. wegen Mordes angeklagt. Damit droht dem Banker lebenslange Haft. Das Mordmotiv? „Möglicherweise Eifersucht.“ – Ja, „möglicherweise“ habe S. mit der Exfrau des Schützen ein Verhältnis gehabt. Sagt die Staatsanwältin. Schränkt aber ein, dass das Motiv gar nicht so wichtig sei. „Die zentrale Rolle kommt den objektiven Beweismitteln zu, nicht der Exgattin.“
Letztere spielt jedenfalls insofern eine Rolle, als diese eine Wiener Staatsanwältin ist. Daher, also aus Gründen möglicher Befangenheit, wird in Korneuburg verhandelt.
Starverteidiger Rudolf Mayer hat den Gerichtsakt im Vorfeld geradezu seziert. Laut seiner wahrlich lebhaft vorgetragenen Eröffnungsrede gebe es praktisch nichts, das den Mordvorwurf untermauere. Dass nun selbst die Staatsanwältin das Eifersuchtsmotiv relativiert, kommentiert der Verteidiger-Routinier geradezu ungläubig: „Das wär' der erste Mord, den ich seit 36 Jahren Berufstätigkeit erlebe, bei dem man kein Motiv braucht.“
Ebendieses mögliche Motiv ist rasch erklärt: Weil das Mobiltelefon seiner Exfrau, die S. nach eigenem Bekunden „auch heute noch liebt“, mit seinem Handy synchronisiert war, habe er laut einem Informatikgutachten deren Nachrichten höchstwahrscheinlich mitlesen können. Und die Staatsanwältin habe zuletzt eine anzüglich-derbe Nachricht vom Stiefbruder des Bankers bekommen.
S. sagt aber, er habe diese Nachricht nicht gelesen. Und er habe auch nie vermutet, dass sein Stiefbruder ein Verhältnis mit seiner Exfrau gehabt habe. Vielmehr habe dieser „immer gewollt“, dass die Staatsanwältin ihm ihre Berufskolleginnen vorstellt. Dies ist laut Gerichtsakt zumindest einmal auch der Fall gewesen.
Einladung an Staatsanwältin
Dass seine Exfrau (die beiden waren von 2010 bis 2015 verheiratet) vor der Tat mit einem Drogenfahnder liiert war, habe er nicht gewusst, sagt der Angeklagte. Der Beamte gibt als Zeuge an, die Staatsanwältin habe sein Verhältnis mit ihr „unter der Hand gehalten“, S. habe es nicht wissen dürfen.
Auch am Tattag hätte die Juristin in die Wohnung kommen sollen, eingeladen war sie, sie kam aber nicht. Und unmittelbar nachdem der tödliche Schuss gefallen war, versuchte S., seine Exfrau telefonisch zu erreichen. Sie hob aber nicht ab. Dann erst verständigte er die Polizei.
Aussage - nur ohne Öffentlichkeit
Die Staatsanwältin, der als Exfrau ein Entschlagungsrecht (Aussageverweigerungsrecht) zusteht, wird von dem Korneuburger Richtersenat erst am späten Nachmittag als Zeugin aufgerufen, zu einem Zeitpunkt, als es vielen Zuschauern nicht mehr möglich ist, so lange auszuharren.
Bisher hat die Staatsanwältin von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht. Nun ist sie zu einer Zeugenaussage bereit - allerdings erst nach Ausschluss der Öffentlichkeit. Zum Vergleich: Eine frühere Lebensgefährtin des Angeklagten sagt an diesem Vormittag sehr wohl öffentlich aus; ebenso der erwähnte Drogenfahnder, der mit der Staatsanwältin zuletzt liiert gewesen ist.
Nach kurzer Beratung leistet also der Drei-Richter-Senat (Vorsitz: Richterin Anna Wiesflecker) einem entsprechenden Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit Folge. Bis auf rund ein Dutzend Rechtspraktikanten müssen sämtliche Zuhörer den Gerichtssaal verlassen, weil die Staatsanwältin und eben zugleich Exfrau des Angeklagten ihren höchstpersönlichen Lebensbereich nicht coram publico darlegen will. Dies nimmt insofern wunder, als nur zwei Tage vor der Verhandlung das Nachrichtenmagazin "News" ein Interview mit der Staatsanwältin veröffentlichte.
"Aussage" vorab aber sehr wohl (medien-)öffentlich
Im Gespräch mit der Zeitschrift versicherte die Anklägerin, sie hätte keine Affäre mit dem Stiefbruder des Angeklagten gehabt. "Wir waren befreundet. Wir hatten alle drei ein sehr gutes Verhältnis miteinander. Wir haben uns zu dritt getroffen oder in jeder Konstellation zu zweit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Ex-Mann da irgendwie eifersüchtig geworden wäre", zitiert "News" die Juristin.
Ihr Ex-Mann sei grundsätzlich kein eifersüchtiger Mensch. Dass ihr dessen Stiefbruder anzügliche SMS schickte, nannte die Staatsanwältin "News" gegenüber eine "einseitige Konversation". Sie sei "nicht der Moralapostel, der meinen Freunden vorschreibt, wie sie sich auszudrücken haben".
Außerdem wird die Staatsanwältin in dem Magazin so zitiert: "Ich bin davon überzeugt, dass es ein Unfall war." Demnach nimmt die Staatsanwältin medial die Position der Verteidigung ein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2017)