Datenschutz: Überwachung aller Bürger startet

(c) Clemens Fabry
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Österreich will künftig die Telefon- und Internetverbindungen aller Bürger protokollieren. Kritiker sprechen von einem Paradigmenwechsel in der Strafverfolgung.

Wien. Geht es den Staat etwas an, wer seiner Bürger wann und von wo aus wie lange mit wem telefoniert oder via SMS, World Wide Web und E-Mail kommuniziert hat? Die Republik Österreich glaubt ja und schickt bis spätestens 24.November ein Gesetz in Begutachtung, das ausnahmslos jeden betrifft, der das Festnetz, ein Mobiltelefon oder das Internet nutzt.

Die technischen Möglichkeiten dazu sind nicht grundsätzlich neu, der Unterschied zur bisherigen Praxis ist jedoch fundamental. Während Überwachungsmaßnahmen heute nur bei einem begründeten Tatverdacht gegen eine Person eingeleitet werden, will der Staat in Zukunft verdachtsunabhängig und präventiv die Kommunikationsprofile aller seiner Schutzbefohlenen speichern. Der dahinter stehende Gedanke lautet also: Ausnahmlos jeder ist potenziell verdächtig.

„Das ist ein Paradigmenwechsel in der Strafverfolgung“, sagt Hannes Tretter, Leiter des Wiener Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte (BIM). Das BIM war es auch, das den noch nicht öffentlichen Entwurf für das Gesetz, das im ersten Halbjahr 2010 in Kraft treten soll, für das zuständige Verkehrsministerium ausarbeitete. Wie das zusammenpasst, dass ausgerechnet ein Institut ein Gesetz ausarbeitet, das dessen Vorstand eigentlich für fragwürdig hält? Tretter: „Für uns war das die einmalige Chance, die Eingriffe in die bürgerlichen Grundrechte möglichst klein zu halten und so eine Minimalumsetzung der ursprünglichen Anforderung zu erreichen.“ In anderen Worten: Ziel war das geringste Übel.

Überwachung oder EU-Rüge

Diese ursprüngliche Anforderung stammt von der Europäischen Union und erging als Richtlinie bereits im Februar 2006 an alle Mitgliedsstaaten. Vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11.September2001 forderten Kommission und Parlament die Staaten dazu auf, die elektronische Kommunikation vollständig zu überwachen und die dabei anfallenden Daten mindestens sechs, höchstens aber 24Monate lang zu speichern. Davon ausgenommen sind lediglich der Inhalt eines Gesprächs oder der Text einer E-Mail oder Kurznachricht.

Tatsächlich orientiert sich der österreichische Gesetzesentwurf mit sechs Monaten Speicherdauer am unteren Rand der Skala. Verkehrsministerin Doris Bures sagt, dass es ihr ein großes Anliegen war, ein Gesetz, das in die Grundrechte von acht Millionen Österreichern eingreift, möglichst „bürgerschonend“ zu formulieren. Deshalb habe sie mit dem BIM bewusst einen Partner mit an Bord geholt, der der sogenannten Vorratsdatenspeicherung prinzipiell kritisch gegenübersteht. Warum man bei all den Bedenken die EU-Richtlinie trotzdem umsetzt? Bures: „Weil die einzige Option eine millionenschwere Strafzahlung an die Union wäre.“

Dass die Ausarbeitung des Gesetzes fast vier Jahre gedauert hat, hat übrigens nicht damit zu, dass den damit befassten Regierungen der Schutz der Bürger ein besonders großes Anliegen gewesen wäre. Vielmehr stritten sich Bures' Amtsvorgänger Hubert Gorbach und Werner Faymann mit den Innenressortleitern Liese Prokop und Günther Platter darüber, ob man sich bei der Speicherdauer am unteren (Verkehrsministerium) oder am oberen Rand (Innenministerium) orientieren solle. Dieses Problem ist nun gelöst.

Der Gesetzesentwurf enthält folgende Details: Die Polizei darf auf die Daten nur mit richterlicher Genehmigung zugreifen. Um das Missbrauchspotenzial zu minimieren, müssen die entsprechenden Datenbanken der Provider alle Zugriffe protokollieren. Jede Person, über die entsprechende Informationen eingeholt werden, muss darüber im Nachhinein informiert werden. Grundsätzlich ist der Zugriff auf die Daten nur dann erlaubt, wenn der Verdacht auf eine „schwere Straftat“ (siehe Artikel unten) besteht.

Es gibt allerdings zwei Ausnahmen. Erstens: Es besteht – etwa nach einem Lawinenabgang – Gefahr für das Leben einer Person, die etwa durch eine Handypeilung gerettet werden könnte. Zweitens: Die Polizei gibt an, mithilfe dieser Daten (Standort, Inhaber eines Anschlusses etc.) ein angekündigtes Verbrechen verhindern zu können.

AUF EINEN BLICK

Die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung wird in Österreich demnächst umgesetzt. Künftig wird sechs Monate lang gespeichert, wer wann von wo aus und mit wem wie lange telefoniert oder via SMS und E-Mail kommuniziert hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2009)

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