Stadtflucht

Von einem Bahnhof zum nächsten

Neue und alte Architektur treffen in dieser Siedlung auf der Margaretenstraße aufeinander.
Neue und alte Architektur treffen in dieser Siedlung auf der Margaretenstraße aufeinander. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Lange Spaziergänge kann man auch in Wien machen: etwa eine Tour vom West- zum Hauptbahnhof durch kaum bekannte Nebengassen, auf der sich einige unerwartete Dinge entdecken lassen.

Wer sagt, dass man für einen ausgedehnten Spaziergang unbedingt ins Grüne fahren muss? Auch durch eine große Stadt wie Wien lässt es sich bestens spazieren, wenn man dabei auch naturgemäß auf einsame Waldwege oder erholsame Naturkulissen eher verzichten muss. Dafür darf man, anders als auf Wanderrouten in der Natur, jederzeit vom Weg abkommen, ohne sich gleich zu verirren. Man kann auch umdrehen, wann immer man will – und für die Pausen zwischendurch findet man eine wesentlich breitere Auswahl an Lokalen.

Sehr viele Vorteile also. 15 Vorschläge für längere Stadtspaziergänge findet man etwa in Christina Rademachers „Vom Hinterhof in den Himmel“, die teilweise durch Grätzel führen, in denen man vielleicht noch nie war – oder durch die man zumindest nie bewusst spaziert ist.

Wie bei der rund 4,5 Kilometer langen Tour, die vom West- zum Hauptbahnhof führt. Ein Spaziergang, bei dem man allerlei Nebengassen der Bezirke Mariahilf, Margareten und Wieden kennenlernt. Die Autorin versorgt einen dabei auch mit historischen Fakten zu vielen Bauten, an denen man vorbeikommt.

Zugegeben, oft geht es einfach an wenig spektakulären Zinshäusern und Neubauten entlang, wie in der hübschen Bürgerspitalgasse, dann wieder lernt man kleine Parks kennen (wie den Minna-Lachs-Park), ehe man auf Höhe Gumpendorfer Straße bei der Gustav-Adolf-Kirche vorbeikommt. Dass sie, wie man dem Buch entnimmt, die größte evangelische Kirche Österreichs ist, würde man ihr nicht zutrauen. Irgendwie klein wirkt die Kirche, da ihr ein typischer Kirchturm fehlt. (Glocken hat sie auch nicht.)

Weiter geht es, die Morizgasse hinunter zum Wienfluss. An der nächsten Attraktion wäre man ohne Hinweis im Buch vorbeispaziert. Eine kleine Kugel, die an der Hausfassade an der Linken Wienzeile 172 steckt, die an die Zweite Türkenbelagerung erinnert, als auf das Haus, das damals hier stand, eine Kanonenkugel abgefeuert wurde.

Quert man den Wienfluss, wartet der erste größere Grünraum auf dieser Tour: der Bruno-Kreisky-Park. Am anderen Ende des Parks steht eine kleine, fast unscheinbare Kapelle, die Hundsturmer Linienkapelle, eine von 18 Kapellen, die auf dem früheren Linienwall errichtet wurde, und die einzige, die nach wie vor erhalten ist. Hinein kann man nicht, durch die Glasscheibe erkennt man aber immerhin die Statue des heiligen Johannes Nepomuk.

Kreiskys Geburtshaus

Abgesehen von der Kapelle zeigt sich Margareten in diesem Eck nicht von seiner hübschesten Seite, der Verkehr auf der Schönbrunner Straße braust vorbei. Dass man hier kurz stoppt, liegt am Haus Nummer 122, einem in die Jahre gekommenen Altbau samt Leerstand im Erdgeschoß, in dem 1911 Bruno Kreisky geboren wurde.

Weiter geht es über den Hundsturm – wo früher ein Schloss stand, findet man heute einen kleinen Park – Richtung Einsiedlerpark. Rundherum entdeckt man allerlei türkische Bäcker und Läden, die davon zeugen, dass das Grätzel einen hohen Migrantenanteil hat. Bis zum nächsten Park sind es nur wenige Minuten – insofern kann man diesen Spaziergang durchaus auch mit Kindern absolvieren, kommt man doch alle paar Minuten bei einem Park, großteils mit sehr passablen Spielplätzen ausgestattet, vorbei.

Einer der besten Spielplätze für etwas größere Kinder ist jener auf dem Bacherpark nur einen kleinen Fußweg weiter. Davor sollte man aber ein bemerkenswertes Highlight der Tour nicht auslassen, die Wohnanlage Margaretensraße 131 bis 135 nämlich, die zeigt, wie man modernen Siedlungsbau mit alter Bausubstanz elegant verbinden kann: Die gerade für den fünften Bezirk charakteristische Backsteinarchitektur ist bei diesem Wohnhaus zum Teil erhalten geblieben und wurde in den Neubau integriert – eine ungewöhnliche und gelungene Fusion. (Für eine der schönsten alten Fabriken empfiehlt sich vom Bacherplatz aus ein kleiner Umweg zum Eck Spenger-/Arbeitergasse, in dem heute die Architekten von Coop Himmelb(l)au arbeiten.)

Weiter geht es quer durch Margareten, vorbei am Gefängnis Mittersteig und einer gläsernen Gedenktafel, die daran erinnert, dass hier 1938 ein jüdisches Gebetshaus von den Nazis zerstört wurde. Über die Wiedner Hauptstraße (Tipp: Der Florahof auf Nummer 88, für eine Pause das Café Wortner, speziell in der Gastgartensaison) geht es leicht bergauf zu einem der schönsten Orte der Tour: dem Alois-Drasche-Park, der von wunderschönen Altbauten umrahmt wird.

Dass es hier so herrlich erholsam ist, liegt an einer bewussten, für die damalige Zeit durchaus erstaunlichen Stadtplanung: Schon Ende des 19. Jahrhunderts entschied die Stadtverwaltung, den Drascheplatz zur Gänze verkehrsfrei zu gestalten. Heute ist er nicht nur bei Kindern ein beliebter Erholungsraum. Kaum zu glauben, dass man nur wenige Schritte weiter in eine ganz andere Welt eintaucht: den dichten Verkehr auf dem Gürtel – der Hauptbahnhof, das Ziel des Spaziergangs, ist da schon in Sichtweite.

Wem diese Tour zu sehr durch verbautes Gebiet führt, findet im Buch aber auch mehrere Spaziergänge, die durch ruhigere Ecken der Stadt führen, wie jener in Döbling. Oder – wenn es denn eines Tages wirklich Frühling wird – den Strandspaziergang entlang der Alten Donau.

Wer auf Kaffeepausen samt Mehlspeisen Wert legt, dem sei die Aida-Tour empfohlen, die vom siebenten in den ersten Bezirk an sechs Filialen der zuckerlrosa Konditoreikette (und mancher Sehenswürdigkeit) vorbeiführt.

ERSCHIENEN

„Vom Himmel in den Hinterhof.“ 15 Spaziergänge durch das unbekannte Wien von Christina Rademacher ist kürzlich in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen. Styria Verlag, 191 Seiten, 19,90 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2017)

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