Leben im Dorf: Zufriedenheit, alte Bewohner, viele Pendler

Dorf in Niederösterreich
Dorf in Niederösterreich(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Ein neuer Bericht zeigt: Dörfer sind nicht gleich. Während die einen wachsen und jünger werden, altern und schrumpfen andere.

Wien. Fast die Hälfte der Österreicher lebt im Dorf. Auch wenn das in Wien, wo Politiker und Entscheidungsträger zu Hause sind, schnell einmal vergessen wird: Rund 40 Prozent der Österreicher wohnen in einer Gemeinde, die weniger als 5000 Einwohner hat. Insgesamt machen diese Orte 88 Prozent aller Gemeinden im Land aus.

Wie das Leben im Dorf funktioniert, hat sich nun der erste Dorfleben-Report (im Auftrag der Firma Adeg, in Kooperation mit dem Gemeindebund) angesehen. Dafür hat ein Marktforschungsinstitut (MindTake) 1050 Personen online und mündlich befragt – die Ergebnisse hat Politologe Peter Filzmaier, der sich als Koordinator des Projekts Econet mit der Entwicklung des ländlichen Raums befasst, interpretiert.

In dem 50 Seiten dicken Report lässt sich einiges ablesen, vor allem aber, dass sich das Dorfleben nicht so leicht verallgemeinern lässt. Ein Überblick.


• Bewohner.
Nicht jeder Ort ist von Landflucht betroffen. Das burgenländische Kittsee etwa ist im Vergleich zu 2002 um 63 Prozent gewachsen. Was wohl mit den vielen Slowaken zu tun hat, die in den Ort nahe der Grenze gezogen sind. Aber auch Mitterndorf a. d. Fischa, in Niederösterreich, hat um 71 Prozent mehr Bewohner, ebenso der Ort Rohrberg in Tirol (51 Prozent). Eisenerz in der Steiermark ist hingegen seit 2002 am stärksten geschrumpft – um 33 Prozent.

Auch dass die Jungen abwandern ist nicht für jeden Ort Gesetz. In den Gemeinden Sonntag und Fontanella in Vorarlberg sind 43 bzw. 42 Prozent der Bewohner unter 29 Jahre alt. Im Gegensatz dazu sind in Unterperfuss in Tirol und in Tschanigraben (Burgenland) 47 bzw. 44 Prozent der Dorfbewohner über 60 Jahre alt.

Grundsätzlich ist die Landflucht aber nicht zu leugnen. Lebten 2002 noch über 40 Prozent der 15- bis 44-Jährigen in Dörfern, sind es jetzt nur noch um die 35 Prozent. Sie verlassen den Ort auch wegen schlechter Infrastruktur, aus Mangel an Arbeitsplätzen, Nahversorgung und Ausbildung.

Junge und Alte im Dorf
Junge und Alte im DorfGrafik


• Gemeinschaft.Trotzdem ist das Landleben nicht unbeliebt. 90 Prozent empfinden in ihrem Heimatort einen hohe Lebensqualität. Auch wegen der Gemeinschaft vor Ort. Die ist allerdings nicht immer öffentlich sichtbar. 48 Prozent der Befragten gaben an, sich mit mit Freunden und Bekannten zu Hause zu treffen, 33 Prozent im Verein, 29 Prozent in der Natur – und „nur“ 22 Prozent im Wirtshaus.

• Arbeit. Wer im Dorf lebt, muss mobil sein. Rund 72 Prozent der Befragten müssen zu ihrem Arbeitsplatz pendeln – im Vergleich zu Restösterreich, wo es nur knapp die Hälfte sind. Dafür gibt es im Dorf weniger Arbeitslose als in Gesamtösterreich (fünf zu 7,6 Prozent), obwohl die Menschen im Schnitt dort häufiger niedrigere Bildungsabschlüsse haben (47 Prozent Bewohner mit Lehrabschluss im Dorf, zu 40 Prozent österreichweit). Der Nahversorger wird trotz Geschäftssterbens als wichtiger Arbeitgeber gesehen, aber die Anforderungen sind gewachsen: Ein Kaufmann führe heutzutage nicht nur ein Geschäft, er sei meistens „gut im Ort verwurzelt, und er erbringt mit Dienstleistungen einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur. Etwa mit Postpartnerschaft oder der Hauszustellung“, so Adeg-Vorstandsvorsitzende Alexandra Draxler-Zima.

• Vereine. Rund 85 Prozent der Dorfbewohner engagieren sich ehrenamtlich oder sind Vereinsmitglieder. „Diese Leistungen müssen in Ballungsräumen vom Steuerzahler bezahlt werden“, so Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl. Auch das sei ein Grund, warum das Dorfleben gefördert gehöre. Denn das Landleben werde nicht aussterben, so Peter Filzmaier. Er werde aber teuer, wenn Orte schrumpfen oder überaltern.

Damit junge Menschen im ländlichen Raum bleiben, müsse ein Fokus auf Frauen gelegt werden, betont Filzmaier. Denn gerade junge, gebildete Frauen verlassen das Land: "Der Mangel an Attraktivität hängt auch mit dem veraltete Frauenbild zusammen", erklärt er. So würden Frauen in den Bundesländern nahezu um die Hälfte weniger Bruttoeinkommen haben als Männer. Nicht bloß wegen Karenzzeiten, sondern weil sie schlechter bezahlt werden und in Berufen mit geringen Verdienstchancen arbeiten, so Filzmaier. Damit gut gebildete Frauen nicht abwandern, sei es daher auch wichtig, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern - etwa durch eine bessere Kinderbetreuung.

Gemeindebundchef Riedl betont wiederum, dass der ländliche Raum mehr Bildungseinrichtungen und den Ausbau von Breitbandinternet benötigt, damit der Raum wettbewerbsfähig bleibe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

DEU Deutschland Laichingen 15 08 2017 Getreideernte auf der Schwaebische Alb Ein Maehdrescher b
Österreich

"Der ländliche Raum wird älter"

Der ADEG Dorfleben-Report zeigt, dass neun von zehn Dorfbewohner mit der Lebensqualität am Land zufrieden sind. Dennoch zieht es viele junge Menschen in die Stadt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.