Stadtflucht

Die große, weite Welt im Kleinen

Eine Szene aus der „Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson, nachgebaut aus Zinnfiguren.
Eine Szene aus der „Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson, nachgebaut aus Zinnfiguren.(c) Clemens Fabry
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Asterix, Schneewittchen oder auch „Jedermann“: Die Zinnfigurenwelt Katzelsdorf überrascht mit einer erstaunlichen Breite an Figuren und Szenen.

Wer das Wort Zinnfigur hört, denkt höchstwahrscheinlich zuallererst an Soldaten. Zinnsoldaten eben. Eine naheliegende, aber auch kurzsichtige Schlussfolgerung, zumindest wenn es um die Zinnfigurenwelt Katzelsdorf im Süden von Wiener Neustadt geht. Zwar gibt es hier auch viele Zinnsoldaten. Dennoch wird man als Besucher staunen, wie viele verschiedene Figuren und Darstellungen aus Zinn hier gezeigt werden.

Die Räumlichkeiten des 2001 eröffneten Museums sind nicht riesig, trotzdem gibt es in den Schaukästen so viel zu entdecken, dass man auch mit viel Ausdauer gar nicht alles schaffen wird. Jedes Jahr wird zudem ein Drittel der Schau ausgetauscht, um den Besuchern Abwechslung zu bieten. Und um die Schätze überhaupt alle nach und nach herzeigen zu können: Im Depot lagern rund 400.000 Zinnfiguren, die Sammlung wird durch Schenkungen oder Käufe bei Auktionen ständig erweitert.

Man muss also keineswegs ein großer Freund von mit kleinen Figuren nachgestellten Kriegsszenen sein, damit sich der Besuch in Katzelsdorf lohnt. Beginnt man im ersten Stock, bekommt man eine kleine Geschichte der Brettspiele anhand der Schaustücke erzählt, die durchaus überrascht. So ist wohl wenig bekannt, dass die Spielfiguren vieler Brettspiele – wie die wunderbar altmodischen „Die Reise ins Schlaraffenland“ und „Reise in die Alpen“, die hier gezeigt werden – aus Zinn waren. Etwa auch bei den ersten Tippkick-Spielen von 1925.

Nicht immer freilich kam Zinn, auch wenn es auch früher kein teures Material war, zum Einsatz: Wie man anhand des Strategiespiels „Marschall vorwärts!“ aus dem Jahr 1913 sieht, gab es bei manchen Spielen eine Luxusausgabe mit Zinnfiguren und eine sogenannte Volksausgabe, für die Spielfiguren und Würfel aus dem billigeren Holz gefertigt wurden.

Zwischen den historischen Brettspielen findet sich in einem Schaukasten eine Szene aus Robert Louis Stevensons „Die Schatzinsel“, die mit unglaublicher Akribie nachgestellt wurde: Piratenboote, dazu viele Figuren, und wer genau schaut, entdeckt im (Plastik-) Wasser sogar kleine Haie aus Zinn, alles hergestellt von Museumschef Franz Rieder und seinem Team. Denn die Zinnfigurenwelt Katzelsdorf ist nicht nur ein Museum, sondern auch Produktionsstätte: Etwa 60.000 Zinnfiguren werden hier jedes Jahr gegossen und bemalt. Und zwar nach dem uralten Verfahren und in historischen Formen, die teils 200 Jahre alt sind.

All das erfährt man im Zuge einer Führung, die etwa eine Stunde dauert und durchaus empfehlenswert ist, da Rieder und seine Mitarbeiter allerlei Anekdoten und historische Infos vermitteln. Mit kleineren Kindern wiederum ist das Entdecken auf eigene Faust und im selbst gewählten Tempo vielleicht empfehlenswerter. Am Ende der Führung jedenfalls gibt es ein kleines Schaugießen in der Werkstatt, bei dem man beobachten kann, wie die Zinnlegierung in einem Tiegel auf 360 Grad erhitzt und in die Formen aus Schieferstein gegossen wird. Nur zwei Sekunden dauert es, ehe das Zinn hart ist.

Historische Figuren. Mindestens so sehenswert wie der obere Stock ist der Erdgeschoßbereich. Hier sieht man auch viele alte Figuren, die ältesten stammen aus dem 18. Jahrhundert, damals sind sie aus der Not heraus erfunden worden: Den Zinnkannenmachern drohte das Aus, da die Geschirrproduktion auf Steingut umgestellt wurde. Da begannen sie, kleine Figuren aus Zinn zu gießen. Zu den ersten Figuren gehörten exotische Tiere, die Naturkundebüchern für Kinder beigelegt wurden. Denn auch wenn heute Zinnfiguren vor allem zu Sammlerstücken geworden sind und in Vitrinen stehen: Früher waren Figuren aus Zinn zuallererst Spielzeug für Kinder.

In jedem Schaukasten gibt es etwas anderes zu entdecken: da Soldaten, dort Schneewittchen, ein altes Auftragswerk von Disney wie auch andere Märchen. Oder Asterix, Obelix und das ganze Dorf, wie es sich zum Wildschweinessen einfindet. Oder, eines der größten Dioramen, die Schlacht von Salice, der einzige Sieg Erzherzog Johanns aus dem Jahr 1809, der detailreich und mit Tausenden Soldaten nachgestellt wurde.

Sehr interessant ist die Sonderschau „Literatur und Zinnfiguren“, für die Figuren aus wichtigen Romanen, Dramen und Gedichten aus Zinn gegossen und in Szene gesetzt wurden. Ergänzt werden die Szenen häufig durch großteils historische Ausgaben der Werke. Sehr sehenswert – und sehr breit: Von „Alice im Wunderland“ über Homers „Odyssee“ und „Jedermann“ bis zum „Dschungelbuch“.

Zinnfiguren

Die Zinnfigurenwelt Katzelsdorf Hauptstraße 69, 2801 Katzelsdorf, hat samstags, sonntags und feiertags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Jeden ersten Sonntag im Monat: Schaugießen in der Werkstatt. Ab 8. 12.: Krippenausstellungu. Adventprogramm.
Eintritt:
Erwachsene 6 €, Kinder ab sechs: 2,50 €. Familienkarte: 12 Euro.

www.zinnfigurenwelt-katzelsdorf.at Tel: 02622/78 250

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2017)

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