Mit den Brettern auf das Dach Tirols

Tourengehen wird auch am Pitztaler Gletscher immer beliebter.
Tourengehen wird auch am Pitztaler Gletscher immer beliebter.(c) Pitztaler Gletscherbahn
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Die Luft ist dünn, die Schneeschicht umso dicker: Es sollte eine Skitour auf die Wildspitze, den zweithöchsten Berg Österreichs, werden. Das wurde es schlussendlich nicht. Ein besonderes Erlebnis war die Gletschertour trotzdem.

Der Rucksack liegt diesmal etwas schwerer auf den Schultern. Neben der warmen Skijacke, der Thermoskanne mit Tee und den zwei Wurstbroten müssen auch Schneeschaufel, Sonde und Verbandszeug darin Platz finden. Der Skihelm wird noch von außen auf den Rucksack geklemmt. Das Lawinengerät sowie der Klettergurt wurden schon zuvor direkt um die Brust beziehungsweise um die Hüfte geschnallt. Wer mit Skiern Berggipfel erklimmen will, muss gut ausgerüstet sein.

Das gilt vor allem im hochalpinen Gelände. Diesmal steht nicht irgendeine Tour auf dem Programm. Es soll auf die Wildspitze, bekannt als das Dach Tirols, gehen. Den Namen hat sich der mit seinen 3774 Metern zweithöchste Berg Österreichs redlich verdient. Denn von hier aus kann man 50 Dreitausender sehen. „Man muss auf das Dach steigen, um die Schönheit entdecken zu können“, sagt Nathalie Zuch vom Tourismusverband Pitztal.


Aufstieg mit Hilfe. Auf dieses kann auch mit Hilfe geklettert werden. Der Gletscherexpress bringt Tourengeher in acht Minuten vom Tal zur Bergstation auf 2840 Metern. Von dort aus bleiben noch 900 Höhenmeter bis auf die Wildspitze. Drei Stunden hat Skilehrer und Bergführer Florian Kirschner dafür veranschlagt. Doch schon als seine Gruppe aus dem Gletscherexpress aussteigt, kommt der Plan ins Wanken.

Auf den letzten Metern vor dem Gipfel des Rechten Fernerkogels muss geklettert werden.
Auf den letzten Metern vor dem Gipfel des Rechten Fernerkogels muss geklettert werden.(C) Petra Rapp

Die Berge verstecken sich hinter dickem Nebel und zarten Schneeflocken. Der Wind braust und die minus 20 Grad, die auf der Schautafel angezeigt werden, kriechen rasch durch die Handschuhe. Sogar Laien, die Gefahren am Berg oft nur schwer einschätzen können, ist klar: Heute wird es nicht auf die Wildspitze gehen.

„Da wäre ich heute mit keiner Gruppe hinaufgegangen. Egal, wie geübt sie ist“, sagt Skilehrer Florian. Seit mehreren Jahrzehnten ist er bei der Bergrettung und weiß zu gut: Lawinenstufe vier von fünf macht das Ganze viel zu gefährlich. Auf dem Gletscher entscheiden Wetter und Natur über die Routenwahl.

Die Felle werden trotzdem auf die Skier geklebt. Denn nun wird es eben auf einen anderen der zahlreichen Gipfel am Gletscher gehen. Die Gruppe macht sich zum Rechten Fernerkogel (3300 Meter) auf und befindet sich rasch abseits der Piste. Der Bergführer geht voraus und zieht die Spur. Schritt für Schritt und Zug um Zug geht es für die Gruppe in die tief verschneite Landschaft. Das weiße Schneemeer, das sich hier oberhalb der Baumgrenze auftut, trifft am Horizont auf den grauen Nebel. Es fällt schwer, da einen Unterschied auszumachen. Der Orientierungssinn droht zu versagen. Aber hoffentlich nicht der des Bergführers.


Skitouren in Zeitlupe. Das Bergpanorama, das man hier eigentlich bestaunen könnte, bleibt heute verborgen. Dem Tourengehen nimmt es nur einen Teil seines Reizes. Den machen nämlich auch die Ruhe, die Einsamkeit und der Kampf mit dem eigenen Körper, der am Gletscher besonders intensiv ist, aus.

„Ab 3000 Meter spüren viele die Höhe“, bereitet Florian die Gruppe vor. Da beginnen die Gedanken zu kreisen. Wie macht sich die dünne Luft bemerkbar? Macht es die Atmung schwerer? Ist das beklemmend?

Eine klare Antwort darauf ist schwer zu finden. Irgendwie spürt man die Höhe gar nicht. Irgendwie doch. Denn selbst wenn man den Stock gemächlich in den Schnee setzt und den Ski langsam hinterherzieht, steigt der Puls rasch. Der Wunsch nach einer kurzen Pause wird stärker, und irgendwann bleibt man nach jedem dritten Schritt stehen. So muss Skitourengehen in Zeitlupe aussehen.

Die Natur hat das Sagen. Kehre um Kehre und Höhenmeter um Höhenmeter legt man trotzdem zurück. Der Gipfel des Rechten Fernerkogels rückt näher. Seine schroffen Felsen sind auch im Nebel zu sehen. Bevor es in Richtung Gipfel geht, wird eine kleine Teepause eingelegt. In der Gruppe wird zur Stärkung Schokolade herumgereicht.

Dabei bleibt erstmals auch wieder etwas Luft zum Plaudern, und so erzählt Florian über seine Erlebnisse als Bergretter. Die Geschichten sind nicht immer leicht zu verdauen. Sie flößen einem, während man im weißen Nichts steht, Respekt ein.

Den braucht es am Gletscher auch. Abseits der Piste herrscht Lawinengefahr, und unter der Schneedecke lauern Gletscherspalten. Da muss man wissen, wo man hinstapft, und gut ausgerüstet sein. Ohne GPS- und Lawinenverschüttetensuchgerät, Schaufel und Sonde rät Florian niemals loszugehen. „Ein Restrisiko bleibt immer.“ Das lässt sich durch die beste Vorbereitung nicht eliminieren. Hier hat die Natur das Sagen.

So schlimm das sein kann, so schön ist das häufig auch. Nicht umsonst bewegen sich immer mehr Skifahrer abseits der Pisten und kleben sich Felle auf die Skier. Der Tourentrend hat auch das Pitztal voll erreicht. „Tourengeher hat es hier schon vor dem Skigebiet gegeben“, sagt Florian, „aber in den vergangenen paar Jahren ist die Zahl noch einmal deutlich gestiegen.“ Im Unterschied zu anderen Skigebieten sind Tourengeher hier auch willkommen. Es wird sogar um sie geworben. Deshalb wurde in diesem Winter am Pitztaler Gletscher der erste Skitourenpark Tirols eröffnet.

Anfänger (aber auch Fortgeschrittene) können hier gleich neben der Piste, also im gesicherten Skiraum, das Tourengehen von September bis Mai üben und einmal hineinschnuppern. Das Material kann praktischerweise im Skitourentestcenter bei der Bergstation des Gletscherexpresses ausgeborgt werden. Drei Aufstiegsstrecken in Blau, Rot und Schwarz sind ausgeschildert.

Geübtere Gruppen können sich mit Bergführern ins Gelände wagen. Florians Gruppe ist nicht mehr weit vom Gipfel des Rechten Fernerkogels entfernt. Nun stünde eine Kletteretappe in hüfttiefem Schnee bevor. Florians Team wird diese – anders als ein paar Kollegen – heute nicht mehr antreten. Die Kraft lässt nach. Die Kälte wird immer beißender. Und so geht es nach zwei Stunden wieder bergab.

Der Helm wird aufgesetzt, die Skijacke aus dem Rucksack geholt, die Felle werden abgezogen und hineingesteckt. Schwung für Schwung geht es durch den tiefen Pulverschnee nach unten. Hunderte Höhenmeter bergab legt man viel schneller zurück als Hunderte Höhenmeter bergauf. Die Erinnerungen an den Fahrgenuss halten aber länger an. Sie machen Lust auf die nächste Tour. Vielleicht wird es bald bei Schönwetter auf die Wildspitze gehen.

Das Dach Tirols

Das Pitztal liegt zwischen Ötztal und Kaunertal. Von Imst aus führt die Pitztaler Landstraße 35 Kilometer zur Talstation Gletscherexpress. Der bringt Gäste in achten Minuten zur Bergstation des Pitztaler Gletschers auf 2840 Metern.

Im höchsten Skigebiet Österreichs blickt man auf 50 Dreitausender. Das Panorama reicht von der Zugspitze über die Allgäuer

Alpen und die Silvretta-Gruppe bis zu den Ötztaler und Stubaier Alpen.

Auf Skitourengeher warten am Pitztaler Gletscher viele verschiedene Routen – etwa auf die Wildspitze (3774m), auf den Brochkogel (3635m) oder auf den Linken Fernerkogel (3277m). Es gibt ein eigenes Skitourenticket, um auf den Gletscher zu gelangen. Es kostet 32 Euro. Seit diesem Winter wartet am Gletscher auch ein Skitourenpark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2018)

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