Für IGGÖ-Präsident Olgun ist die Diskussion um das Kopftuchverbot eine "Scheindebatte" .
Wien. In der Debatte um das Kopftuchverbot in Kindergärten und Schulen hat die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) nun erstmals Zahlen vorgelegt: Weniger als 15 Prozent der Mädchen in islamisch-konfessionellen Volksschulen würden ein Kopftuch tragen, sagt IGGÖ-Präsident Ibrahim Olgun im Interview mit der Austria Presse Agentur. Für Olgun sind 15 Prozent ein geringer Anteil: „Wenn in unseren islamischen-konfessionellen Schulen der Betrag so wenig ist, wie kann es sein, dass er in den allgemeinen öffentlichen Schulen so viel mehr ist?“ Die Hälfte der Mädchen würde das Kopftuch zudem nur gelegentlich tragen, die Mehrheit ab der dritten und vierten Klasse.
Diese internen Zahlen würden, so Olgun, belegen, dass es sich bei der politischen Diskussion um ein Kopftuchverbot für Kinder um eine „Scheindebatte“ handle. Die Zahlen würden beweisen, „dass das eigentlich kein Thema ist“. Zum Kopftuch gezwungen würden Mädchen nur in Einzelfällen, dies werde dann durch den innermuslimischen Diskurs gelöst – und, so Olgun: Man verbiete ja wegen alkoholisierter Autofahrer auch nicht das Autofahren generell. „Es ist sehr unverständlich, sehr bedauerlich, dass die Politik versucht, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen“, sagt Olgun.
Kein Bedarf an Gebetshäusern
Der IGGÖ-Präsident sieht keinen Bedarf an weiteren Gebetshäusern in den Städten: „In Wien brauchen wir keine Moscheen mehr.“ Auch wenn er an sich Moscheen mit Kuppel und Minarett „österreichischer Prägung“ als Bereicherung sehe. Aber: „Was sollen wir mit einer Moschee machen, wenn die Gesellschaft Vorurteile hat und diese Moscheen als parallele Strukturen sieht?“ Rund 350 islamische Gebetshäuser unterstehen der IGGÖ – auch jenes des türkischen Vereins Atib, das aufgrund von Kriegsinszenierungen mit Kindern kürzlich in den Fokus der Politik geraten war. Die Veranstaltung sei offenbar eine Idee des dortigen Geistlichen gewesen, sagt Olgun.
„Der Imam hatte keine radikalen Gedanken, nur, er hatte keine Ahnung, wie das hier ist. Dass so etwas in Österreich in einer Moschee keinen Platz hat.“Verärgert zeigt sich Olgun über den Umstand, dass geistliche Räumlichkeiten für eine unangemessene Veranstaltung benutzt worden seien. „Ich bin nicht dagegen, dass irgendwelche angemessenen Gedenkveranstaltungen im legalen Bereich gemacht werden. Aber ich habe ein Problem, wenn sie im Gebetsbereich gemacht werden.“
Dennoch sei es schwer, alle Einrichtungen ständig zu kontrollieren. „Wir haben nicht 350 Personen, die wir 24 Stunden vor einer Moschee als Wachpersonen aufstellen können.“ Die Glaubensgemeinschaft sei bemüht, etwa durch Schulungen, auf die rechtliche Lage aufmerksam zu machen. „Das Ansehen unserer Moscheen wurde beschädigt, und das darf nicht der Fall sein.“ Die Reaktion der Politik auf solche Vorfälle sieht er dennoch überzogen. Es sei „sehr schade und sehr traurig“, dass Muslime dadurch unter Generalverdacht gestellt würden.
Appell an die Muslime
Dennoch räumt er ein: „Den meisten Schaden an unserer Religion selbst haben leider unsere eigenen Muslime angerichtet. Ich kann das seit zwei Jahren in meiner Funktion als Präsident bestätigen.“ Olgun appelliert an die Muslime in Österreich: „Sie sollen sich bitte vorbildhaft in die Gesellschaft einbringen.“
Mit der Israelitischen Kultusgemeinde habe es in letzter Zeit gute Gespräche über Gemeinsamkeiten und Probleme gegeben. Ein großes Thema soll laut Olgun der zum Teil existierende Antisemitismus unter Muslimen sein. Anti-jüdische Ressentiments ortet er vor allem bei jungen Flüchtlingen. (APA)
ZUR PERSON
Seit 2016 ist Ibrahim Olgun, Jahrgang 1987, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Nach Matura und Präsenzdienst in Österreich studierte er in Ankara islamische Theologie, ehe er nach Österreich zurückkehrte und sich beim türkischen Verband Atib engagierte. Bei der IGGÖ war er bis 2016 Fachinspektor für den islamischen Religionsunterricht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2018)