Missbrauch: Alle mochten den Herrn Pfarrer

(c) Klaus Höfler
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Geschockt, aber teils auch wenig überrascht reagiert man in jener steirischen Gemeinde, in der ein Pfarrer Kinder missbraucht hat. Die Diözese bietet Opfern „offene Türen“.

st.gallen. Er habe, sagt Pater Samuel mit zum Lesepult gesenktem Blick, am Ende des Gottesdienstes noch „eine sehr unangenehme Aufgabe“. In den hölzernen Bankreihen mit den aufgenagelten Namensschildern an den Sitzplätzen weiß man, was jetzt kommt. „Mit tiefer Betroffenheit wende ich mich an die Öffentlichkeit“, beginnt der Pfarrer einen Brief vorzulesen, den ihm der Abt von Stift Admont, Bruno Hubl, mit auf den Weg in die 20Kilometer von Admont entfernte Gemeinde gegeben hat. Hubl stellt darin klar, dass „jede Form von Kindesmissbrauch absolut zu verwerfen ist“ und dass das erst recht gelte, wenn „ein solch gravierendes Fehlverhalten durch einen Priester oder Ordensmann geschieht“. In St.Gallen ist es geschehen. Vor rund 30Jahren. „Pater Berthold S. hat sexuellen Missbrauch an Kindern verübt“, gibt Abt Hubl in seinem Brief unumwunden zu.

„Das hat ja eh jeder gewusst“, wundert sich im Gasthaus Hensle ein rauschebärtiger Mann am Stammtisch, der hier „Chaos Runde“ heißt, über die Mitte letzter Woche losgebrochene Aufregung. Auch seine Gasthausfreunde ärgern sich über den Wirbel, den das Outing eines längst nicht mehr hier wohnenden ehemaligen Schülers von Pater Berthold hervorgerufen hat.

Im 1700-Einwohner-Ort am Nordrand des Gesäuses hat man den Geistlichen, der hier zwischen 1975 und 1986 Pfarrvikar, danach bis 2007 Pfarrer war, geschätzt. So sehr, dass es sogar eine Unterschriftenaktion gegen seinen kurzzeitigen Abzug (in den 1980ern waren erste Gerüchte aufgetaucht) gegeben hat, um ihn zurückzubekommen. „Wir haben ihn geliebt“, hört man eine ältere Frau sagen. Als jetzt die vom Abt bestätigten Missbrauchsvorwürfe bekannt wurden, war man im Pfarrvolk „geschockt“, hat es nicht glauben wollen. Jeden Tag sei der beliebte Pfarrer ins Kaffeehaus am Hauptplatz frühstücken gekommen. Dort, wo sich ein Elektrofachgeschäft, ein paar Wahlkampfständer für die Gemeinderatswahl am 21.März, ein Kunsthandwerksladen, ab Donnerstag wieder eine Konditorei, die schon jetzt via Auslage „herzhafte Brote und leckere Torten“ verspricht, und eine Zweigstelle jener Versicherungsanstalt drängen, in der der Abt im Aufsichtsrat sitzt. Das Stift ist allgegenwärtig. Nicht nur als geistliche Quelle, es ist auch einer der wichtigsten Wirtschaftsbetriebe der Region. Das Portfolio der Stiftsbetriebe reicht von der Forstwirtschaft über eine Privatschule bis zu Kleinkraftwerken, von der Beteiligung an einem Skilift und dem Betrieb eines Pflegeheims bis zu einem Museum.

„Wollen wissen, was vorgeht“

Dass jetzt ein Schatten über Admont liegt, ärgert die Menschen im Gasthaus. Dass jetzt, da der Pfarrer schon gestorben ist – die Parte für den 83-Jährigen ziert die Gemeinde-Homepage www.istsuper.com –, die Sache aufgekocht werde, sei unfair. Man fühle aber „großes Mitleid mit allen Betroffenen“, beteuert ein Ehepaar.

Helmut Schüller, Mitbegründer der Ombudsstelle für Missbrauchsopfer der Erzdiözese Wien, plädiert indes vor der heute beginnenden Bischofskonferenz für österreichweit einheitliche Regelungen im Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch. Die Botschaft müsste sein: Wir wollen das wissen, wenn etwas vorgeht, so der Appell des nunmehrigen Wiener Hochschulseelsorgers. „Wir wollen alles aufarbeiten. Unsere Türen bleiben offen“, heißt es aus der Diözese Graz-Seckau. Bei der Ombudsstelle (0676/8742 6899) seien aber noch keine weiteren Berichte von Missbrauchsfällen eingelangt.

Zu einem „Gebet für die Opfer, aber auch für Pater Berthold“ bittet Pater Samuel am Ende des Gottesdiensts in der voll besetzten St.Gallener Kirche. Ähnliches tut er eine Stunde später im nahen Altenmarkt. Und nach einer Pause fügt er da wie dort an: „Ich bitte weiterhin um Vertrauen in uns.“

WAS KOMMT

Treffen: Die österreichische Bischofskonferenz trifft heute, Montag, in St.Pölten zusammen. Brisantestes Thema: sexueller Missbrauch in der Kirche. Dabei wird auch eine Entschuldigung bei den Opfern erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2010)

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