Fremdenhass, Heimatliebe? Prozess gegen Identitäre

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In Graz begann die Verhandlung gegen 17 Aktivisten der rechtsextremistischen Identitären Bewegung Österreich. Begingen die Beschuldigten Verhetzung? Oder schützten sie nur ihre Heimat?

Graz. Es sind geradezu epische Gegensätze, die den Strafprozess gegen 16 junge Männer und eine junge Frau beherrschen. Da der Hass – das Anstacheln zum Hass auf Zuwanderer, Muslime, Flüchtlinge. Das prangert der Staatsanwalt an. Dort die Liebe zur Heimat Österreich – der Patriotismus, für den die Beschuldigten, nach eigenem Bekunden, brennen.

Auch das Äußerliche scheint widersprüchlich: Der Schwurgerichtssaal des Grazer Landesgerichts wird von einem starken Polizeiaufgebot bewacht. Doch die Atmosphäre im Saal ist friedlich. Fast schon amikal. Als einer der Beschuldigten sich gleich am Anfang unwohl fühlt, ist der Staatsanwalt sofort bereit, seinen Eröffnungsvortrag zu unterbrechen. Und der Richter lässt umgehend Trinkwasser und Ventilatoren in den überhitzten Saal bringen.

Sachbeschädigung mit Kreide?

Doch um Atmosphärisches geht es nicht. Der Grundvorwurf gegen die 17 Beschuldigten wiegt schwer. Sie sollen Mitglieder einer kriminellen Vereinigung sein. Somit drohen bis zu drei Jahre Haft.

Zudem sollen elf von ihnen Verhetzung begangen, eben zum Hass aufgestachelt haben. Mit Transparenten. Auf denen stand „Islamisierung tötet“. Andere wiederum sollen Sachbeschädigungen begangen haben. Etwa durch das Aufsprühen der Parole „Integration ist Lüge“ auf eine Straße im weststeirischen Maria Lankowitz. Mit Kreidespray. Das Abwaschen soll 300 Euro gekostet haben.

Verteidiger Bernhard Lehofer sagt zu diesem Vorwurf: „Wenn Sprühkreide Sachbeschädigung ist, müssten alle kleinen Mädchen, die mit Kreide das Spiel ,Himmel oder Hölle‘ auf den Boden zeichnen, eine kriminelle Vereinigung gegründet haben.“

Also nein: Richtig dramatische Sachbeschädigungen sind nicht Teil des Strafantrags. Wohl aber braucht dieser konkrete Tatbestände, die im Rahmen der kriminellen Vereinigung sozusagen auf der Agenda gestanden sein sollen. Und da ist Verhetzung wohl das schlimmere Delikt – jedenfalls widmet der Ankläger, dessen Namen auf Wunsch des Gerichts nicht genannt werden soll (dies gilt auch für den Namen des Richters), diesem Tatbestand breiten Raum.

Der Staatsanwalt, der zuletzt in Terrorprozessen die Anklage vertreten hat, sagt nun, er kenne die Gefahren des Islamismus: „Die Salafisten in Graz, die wissen genau, was sie machen. Die haben die Grünen nicht mehr nötig.“

Was das nun mit den Grünen zu tun hat? Nun, eine der vier Protestaktionen, die den Identitären vorgeworfen wird, hat so ausgesehen: Im April 2016 sind Aktivisten auf das Dach jenes Hauses geklettert, in dem die Partei Die Grünen Steiermark ihr Büro hat. Dort wurde ein 16 Meter langes Transparent enthüllt. „Islamisierung tötet“, stand zu lesen. Und die Grünen wurden als Terror-Förderer bezeichnet. Zu den in zwei Sesselreihen vor ihm sitzenden Beschuldigten gewandt sagt der Staatsanwalt: „Sie können rechtsextremistisch sein. Das ist mir egal. Sie dürfen nur nicht hetzen.“ Und: „Diese Punzierung von Leuten als Islamisten – da dürfen wir nicht wegschauen.“ Direkt an die Beschuldigten gerichtet: „Das Problem, das wir mit der Zuwanderung haben, das lösen Sie nicht, dafür sind Sie zu faul und zu gierig.“ Letzteres bezieht sich auf den Umstand, dass die Identitären einen Verein gegründet haben, der mit dem Verkauf von T-Shirts, Aufklebern, Fahnen etc. gutes Geld gemacht hat.

Faul? Da widerspricht Lehofer: Der Mitgründer der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) und nunmehrige IBÖ-Chef, Martin Sellner (29), sei selbst auf das Dach der türkischen Botschaft in Wien geklettert. Habe dort ein Transparent enthüllt, Aufschrift: „Erdoğan, hol deine Türken ham.“ Lehofer: „Der Herr Sellner ist nicht faul, er war auf dem Dach und musste froh sein, dass ihn der türkische Geheimdienst nicht runtergeballert hat.“

Und Sellner – was sagt der? Er spricht mit sanfter Stimme: „Uns war der gesunde Bezug zum Patriotismus wichtig. Unkontrollierte Masseneinwanderung sahen wir als Bedrohung.“ Und: „Wir haben uns an Greenpeace-Aktionen orientiert, wollten gewaltfreien Protest auf die Straße bringen.“

War es nun demokratisch legitimierter Protest? Oder Verhetzung? Der Staatsanwalt sieht es pragmatisch. An die Beschuldigten: „Wenn ich den Richter nicht von meinem Standpunkt überzeugen kann, werden Sie freigesprochen.“ Am Freitag wird der Prozess fortgesetzt.

VIER PROTESTAKTIONEN

Die Vorwürfe. Als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung sollen die Beschuldigten in wechselnder Besetzung zwischen April 2016 und März 2017 vier Protestaktionen durchgeführt haben: Eine Transparent-Aktion in Graz, am Dach des Hauses der Grünen Steiermark. Das Stürmen einer Vorlesung zum Thema Asyl an der Uni Klagenfurt. Heiligenstatuen in Maria Lankowitz wurden als Burka-Trägerinnen „verkleidet“. Eine Transparent-Aktion am Dach der türkischen Botschaft in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2018)

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