Identitäre vor Gericht: "Haten und trollen" normale Manöver im Web

Identitären-Prozess in Graz
Identitären-Prozess in GrazAPA/STRINGER/APA-POOL
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Im Prozess gegen Mitglieder der Identitären Bewegung in Graz werden Gründer Martin Sellner, Mitbegründer Patrick Lenart und andere Angeklagte befragt.

Der Prozess gegen 17 Mitglieder und Sympathisanten der rechtsradikalen "Identitären" ist am Freitag mit der Befragung von vier Angeklagten fortgesetzt worden. Thema waren abermals Begriffsbestimmungen wie etwa "haten" und "trollen" im Internet. Gründer Martin Sellner tat letzteres etwa als "kindische Kommentare" ab. Obmann Patrick Lenart gestand Planung von Aktionen in Klagenfurt und Graz.

Die Anhänger der "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ) müssen sich unter unterem wegen krimineller Vereinigung (§ 278 StGB) sowie Verhetzung verantworten. Sie sollen laut Staatsanwalt mit diversen Aktionen und verkauften Klebeplakaten zum Hass gegen Flüchtlinge und Muslime aufgerufen haben. Angeklagt sind auch Sachbeschädigungen und eine Nötigung, die bei einer Aktion in der Universität Klagenfurt stattgefunden haben soll.

Der Staatsanwalt setzte seine am Mittwoch zum Prozessauftakt gestartete Befragung von Sellner gleich zu Beginn des zweiten Verhandlungstages fort und spielte ein Video aus dem Internet vor, in dem der IBÖ-Chef sagt, "trollen und haten" seien normale Manöver im Internet. Das entspreche laut dem Ankläger exakt der Anklage, nämlich dem Vorwurf zum Hass aufzurufen. Sellner widersprach dem Staatsanwalt und beteuerte, dass er "echte Verhetzungen" stets gelöscht und diese nicht geduldet habe. "Haten" sei in seinen Augen zum Beispiel bei einem Internet-Video "negative Kommentare zu hinterlassen". Er sagte weiter: "Ich hatte mit den Troll-Servern nichts zu tun, ich wurde nur dafür eingeladen."

Danach sprach der Ankläger noch einmal die Aktion am Dach der türkischen Vertretung in Wien an: Auf dem Transparent war zu lesen "Erdogan, hol deine Türken ham." Der Staatsanwalt warf Sellner vor, dass damit alle Türken gemeint waren. Sellner dagegen erwiderte: "Wir meinten Erdogans Anhänger." "Das steht da aber nicht, es steht Türken", so der Ankläger. "Das ist eine literarische Frage", meinte dann der 29-jährige IBÖ-Chef.

Nach Sellner wurde der Leiter der IBÖ Niederösterreich (27) befragt. Er gestand, bei der Aktion in Wien dabei gewesen zu sein. Er hatte alles vorbereitet und unterstrich Sellners Aussage: "Wir haben klar geschrieben 'Erdogan, hol deine Türken ham.'" - wobei er das Wort "deine" betonte. Den Schlüsselkasten zum Dach habe er nicht aufgebrochen, denn "unser Credo war: keine Sachbeschädigungen".

Kurz vor Mittag begann dann die Befragung von Patrick Lenart, einem weiteren Mitgründer. Der 30-jährige Philosophie-Student ist seit 2016 Obmann und schilderte in eloquenter Weise, weshalb er für die Bewegung einsteht: "Der Hauptgrund war, dass ich gesehen habe, dass man sich in Österreich mit patriotischer Einstellung dauernd rechtfertigen musste." Es habe letztlich soweit gereicht, dass jemand sogar das Auto von Martin Sellner angezündet habe. Er selbst habe wegen einer Aktion nahe der Wiener Votivkirche damals seinen Job verloren: "Nicht weil ich ein schlechter Arbeiter war, sondern weil mein Arbeitgeber Druck von anderen bekam", sagte Lenart.

Der Mitgründer gestand, dass er sowohl die Aktion am Dach der Grünen-Parteizentrale in Graz als auch jene in der Universität Klagenfurt federführend geplant habe. Er verteidigte den Spruch "Islamisierung tötet" mit ähnlichen Parolen wie etwa "Rassismus tötet". Die Vorlesung in Klagenfurt habe man ausgewählt, weil bei dem Lehrgang "keine kritischen Stimmen zugelassen" worden seien.

Am Vormittag wurde auch die einzige Frau auf der Anklagebank befragt. Ihre Befragung wurde vorgezogen, weil sie erst kürzlich eine Lehrstelle angetreten hat und dem Prozess Montag ab vorübergehend fernbleiben darf, um diese nicht wieder zu verlieren. Die 18-jährige Weststeirerin war bei einer anderen Aktion in Graz beteiligt und habe dort ein Transparent hochgehalten. Erst am Tag davor sei sie das erste Mal bei einem Stammtisch der IBÖ gewesen: "Ich konnte mich mit den Themen identifizieren, etwa beim Thema Masseneinwanderung, weil ich habe schon schlechte Erfahrungen gemacht." Sie erklärte, dass in einem Lokal in Voitsberg "Asylanten" Frauen sexuell belästigt, sie ausgegrapscht, hätten. Seither hätten die Männer dort Lokalverbot, schilderte sie. Jene Aktion, bei der sie teilgenommen hat, sei ihr gegenüber als "Straßentheater" bezeichnet worden.

Nach der Mittagspause hat der Richter Lenart über angebrachte Aufkleber der IBÖ befragt, bei denen an den Ecken Rasierklingen versteckt waren. Der Obmann meinte, dass es "höchst unwahrscheinlich" sei, dass es jemand von der IBÖ war, weil "das wäre ja dumm". Diese Pickerl hätten negative Schlagzeilen verursacht und das sei nicht im Sinne der Bewegung. Lenart konnte aber nicht ausschließen, dass es ein Sympathisant der Bewegung war.

Der Staatsanwalt befragte ihn danach zur gestürmten Uni-Vorlesung in Klagenfurt und fragte ihn, warum sie damals nicht einfach die Vorlesung besucht und mit den Zuhörern und Vortragenden eine Diskussion oder gerne auch ein Streitgespräch gestartet haben. Lenart meinte, dass es ihnen um eine "Systemkritik" gegangen sei und deshalb diese Aktion so gewählt wurde.

Der Prozess wird am Montag mit der Befragung weiterer Angeklagter sowie eines ersten Zeugen fortgesetzt.

(APA)

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