Rot vs. Türkis: Match um Stockerau

Kommenden Sonntag wird in drei niederösterreichischen Gemeinden gewählt – unter anderem in Stockerau.
Kommenden Sonntag wird in drei niederösterreichischen Gemeinden gewählt – unter anderem in Stockerau.(c) Clemens Fabry
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Eine der SPÖ-Hochburgen im ÖVP-dominierten Niederösterreich muss sich Neuwahlen stellen. Die ÖVP will diesmal unbedingt (mit-)regieren.

Wien/Stockerau. Sebastian Kurz war da. Ebenso Staatssekretär Hubert Fuchs und EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky (beide FPÖ). Auch Grünen-Chef Werner Kogler schaute vorbei. Und kurz gab es das Gerücht, Pamela Rendi-Wagner würde anreisen. Daraus wurde zwar nichts, dafür kreuzte Gewerkschaftsboss Wolfgang Katzian auf. Aber der kommt ja auch von hier.

Nämlich aus Stockerau, wo es in den vergangenen Wochen eine für einen simplen Gemeinderatswahlkampf ungewöhnlich hohe politische Promidichte gab. Die zunächst banal zu erklären ist. Einerseits sind manche ohnehin für den EU-Wahlkampf unterwegs. Anderseits hat, wenn in Gemeinden außertourlich gewählt wird, auch die Parteiprominenz Zeit – so man nett bittet.

Tatsächlich wird am Sonntag in drei niederösterreichischen Gemeinden vorzeitig gewählt, weil die Gemeinden durch Streit politisch handlungsunfähig geworden sind: Stockerau, Wolkersdorf und Pillichsdorf. Wolkersdorf und Pillichsdorf sind schwarz, Stockerau ist rot. Und sticht besonders hervor.

Rot-blaue Freundschaft

Und zwar aus zwei Gründen, erstens einem typologischen: Stockerau ist eine der historischen SPÖ-Städte im schwarzen Niederösterreich, rot seit 1945. Ähnlich wie das benachbarte Korneuburg, das aber seit 2015 einen türkisen Bürgermeister hat. „Würde Stockerau schwarz, wäre das ein Desaster“, sagt SPÖ-Landesparteichef Franz Schnabl. Und zwar eines mit „Symbolkraft“. Denn Stockerau ist eine der roten Industriestädte im Übergang. Die einstigen Betriebe sind weg oder geschrumpft, und damit die Einnahmen. Dafür wächst – dank der Nähe zu Wien – die Bevölkerung: seit 2001 von 14.500 auf knapp 17.000 Einwohner. Mehr Menschen bedeuten zwar mehr Geld über den Finanzausgleich. Aber auch mehr Verkehr und Kosten für Infrastruktur wie Schulen und Kindergärten.

Viel Geld hat Stockerau nicht. Laut Interimsbürgermeister Othmar Holzer (SPÖ) steht man bei 40,7 Mio. Euro Schulden plus 14 Mio. Leasingverpflichtungen. Manche Wähler linsen hinüber nach Korneuburg und hoffen, dass (über die Bedarfszuweisung) vielleicht mehr Geld in die Gemeinde fließt, wenn der Bürgermeister türkis ist. Die Bürgermeisterin. Die Kandidatin der Stockerauer ÖVP, Andrea Völkl, formuliert es diplomatisch: „Es ist für jede Stadt von Vorteil, wenn der Bürgermeister guten Kontakt zum Land hat.“

Völkl will, dass die ÖVP diesmal mitregiert – „erstmals“, wie sie betont. Via Proporz ist man zwar Teil der Regierung, aber man hatte noch nie ein Arbeitsübereinkommen mit der Bürgermeister-SPÖ. Im Unterschied zur FPÖ. Was uns zum zweiten Punkt bringt, der Stockerau interessant macht. Stockerau war zuletzt eine rot-blau Stadt. Doch beiden Parteien ist das nicht gut bekommen. Zwar haben sich die jeweiligen Chefs – Helmut Laab (SPÖ) und Erwin Kube (damals FPÖ) – sehr gut miteinander verstanden, doch sie entfremdeten sich von den eigenen Parteifreunden. Insbesondere in der SPÖ kamen die Nähe zum Koalitionspartner und Ideen wie ein gemeinsames Sommerfest nicht gut an. Die Folge: Die SPÖ bekam zwei „Flügel“. Als Laab – aufgrund schlechter Umfragewerte und eigentlich geplant – die Partei übergeben sollte, kam es zum Eklat. Denn zeitgleich mit ihm traten mehrere Gemeinderäte zurück. In der Folge erzwangen ÖVP und FPÖ durch den Auszug aus dem Gemeinderat Neuwahlen. Was allerdings der FPÖ nicht gut bekam: Deren Chef und Bürgermeister-Buddy, Erwin Kube, spaltete sich ab und gründete die Liste Wir!.

(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Und wo wird gespart?

Insgesamt treten nun mit Grünen und Neos sechs Parteien an. Rot-Blau wird es nicht mehr geben – da fehle Vertrauen, sagt Holzer und „das wäre mir auch nicht recht“, so Schnabl. Bleibt Türkis-Blau(-Neos) – Ähnliches wurde schon 2015 versucht – oder Rot-Grün(-Neos). Oder doch ÖVP-SPÖ? Wir könnte eventuell zum Zünglein an der Waage werden, doch will mit Kube keiner so recht.

Dabei, sagt der, würden „eigentlich alle das Gleiche wollen“. Was insofern stimmt, als die Problemanalysen der Spitzenkandidaten gegenüber der „Presse“ ident ausfallen: fehlende Betriebe, die A22-Überplattung, starker Verkehr durch das Zentrum, der Leerstand ebendort (der zu einem Gutteil auf das Konto eines Eigentümers vieler Häuser geht). Und natürlich die über Jahrzehnte angehäuften Schulden. Auch die Lösungsansätze sind ähnlich und differieren nur hie und da. SPÖ und ÖVP skizzieren mit groben Strichen. Holzer, der übrigens für seine Kampagne dieselbe Werbeagentur wie Schnabl beauftragte, setzt auf einen Masterplan für die nächsten 15 Jahre. Völkl wiederum sagt, es habe schon zu viele „Pläne für die Schublade“ gegeben. Sie will für „Veränderung“ und mehr „Miteinander“ stehen. Das freilich wollen alle anderen auch.

Die FPÖ hat einen ziemlich neuen Chef. Herbert Pohl wurde erst Ende des Vorjahrs Parteimitglied: Er sagt, die Stadt brauche mehr Lokale, „vielleicht eine kleine Brauerei“. „Unsere Jugend geht lieber in Wien weg.“ Über Sicherheit und Asyl (die Asylunterkunft in Stockerau wurde aufgelassen) redet er dagegen kaum: „In Stockerau ist das nicht so Thema.“ Die Grünen nennen vor allem beim Verkehr Details: Radwegnetzausbau, Begegnungszonen, bessere Busverbindung, Partizipation fordert Dietmar Pfeiler. Über Verkehr (z. B. bessere ÖBB-Taktung für Pendler) redet auch Martin Ulrich Fischer von den Neos. Er wird auch beim Sparen konkret. Die Stadtgärtnerei müsse effizienter werden, die Freizeitanlagen der Stadt (Schwimmbad, Eislaufplatz) könnte man verpachten. Und wer Wohnanlagen errichte, solle verpflichtet werden, für Infrastruktur, z. B. Kindergärten, zu sorgen: „Städtebaulich sind wir leider in den Siebzigern stecken geblieben.“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Einwohnerlimit für Speckgürtel

Der Vorschlag, den die renommierte Raumplanerin Gerlinde Weber macht, ist radikal: Warum, fragt sie, setzen sich die stark wachsenden Gemeinden in der Nähe von Wien nicht ein Einwohnerlimit?

Die Antwort gibt sie sich freilich gleich selbst: Weil die Gemeinden lieber um das Geld aus dem Finanzausgleich rittern, seit das Geld aus Betrieben knapp wird. Doch langfristig, sagt Weber, rechne sich ein Limit – auch wenn „die Idee ein bisschen elitär ist“. Der Zuzug koste nämlich sowohl Geld (für Infrastruktur) also auch Lebensqualität. Denn er bedeute mehr Bodenversiegelung und mehr Verkehr, weil die Leute ja meist zu ihrem Job in die Großstadt pendeln. „Derzeit haben wir die Situation, dass sich die Region um Großstädte zu einem übermäßigen Kraftlackel entwickelt, während andere Regionen schrumpfen.“ Die Menschen, sagt Weber, gehörten besser verteilt. Wofür es freilich noch an den Voraussetzungen fehle: ein besseres Verkehrsnetz und eine bessere Internetversorgung.

Wobei, glaubt Weber, es dafür Lösungen gebe – in Form etwa von selbstfahrenden Bussen und durch „Digi-Jobs“, die Menschen nicht mehr stationär an einen Ort binden.

Schlafen reicht nicht

Bis es so weit ist, hat Weber aber noch eine Idee, die, zugegeben, wieder ein wenig elitär klingt. Die Umlandgemeinden sollten sich ihre künftigen Bewohner besser aussuchen. Da, wo die Öffentlichkeit Einfluss habe, sollen nur jene Wohnraum bekommen, die mehr machen wollen, als dort zu schlafen: „Die, die ihre Arbeitsplätze mitbringen oder neue schaffen, sollten bevorzugt werden“, sagt Weber. Im Umland von München sei das längst kein Tabu mehr.

(c) Die Presse (Clemens Fabry)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2019)

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