Wer Tulln besucht, kommt am berühmtesten Sohn der Stadt nicht vorbei: Das Schiele-Museum zeigt aktuell Natur- und Stadtlandschaften des Künstlers. Auf dem Bahnhof Tulln kann man die Wohnung seiner Kindheit besichtigen.
Links im Bild steht ein Bub, den Rücken zum Betrachter gewandt – und beobachtet, ein wenig als Außenseiter, das Treiben auf dem Leopolditag in Klosterneuburg. 1907 hat Egon Schiele dieses Bild gemalt, möglicherweise soll er selbst ebendieser junge Mann sein. Zu sehen ist dieses Werk in Schieles Geburtsstadt, Tulln – konkret ist es Teil der neuen Sonderausstellung „Natur- und Stadtlandschaften des künstlerischen Aufbruchs“ im Egon-Schiele-Museum.
Das Museum, direkt am Donauradweg gelegen und daher auch für Radfahrer ein interessanter kultureller Zwischenstopp, zeigt in der kleinen sogenannten Schatzkammer jedes Jahr eine andere Sonderschau: Diesmal geht es um die geografischen Zentren, die den berühmten Künstler (früh) geprägt haben: die Geburtsstadt, Tulln, Klosterneuburg, wo er die Entscheidung traf, Künstler zu werden, wo er aber auch seine erste Ausstellung im Stift zeigen konnte. Oder auch Wien: Zu sehen ist etwa ein Ölbild eines Hauses in Oberdöbling.
Auch Werke, die auf seinen Reisen entstanden sind, wie „Fischerboote in Triest“ (1905) sind derzeit bis Anfang November in Tulln zu sehen. Seine Liebe zur Natur, zu Landschaften wird auf diesen und den anderen gezeigten Werken für den Besucher spürbar. „Jeder Baum hat sein Gesicht, ich erkenne seine Art Augen, seine Art Arme, seine Bestandteile, seinen Organismus“, schrieb Schiele in einem Brief.
Wer sich eingehender mit Schieles privater Seite befassen möchte, ist hier im Museum richtig: Eröffnet wurde es – zu Schieles 100. Geburtstag – im Jahr 1990 im ehemaligen Tullner Stadtgefängnis. Die Tondokumente, auf denen etwa auch Schieles Schwestern Gerti und Melanie zu Wort kommen, sind in audiovisuellen Installationen im erstem Stock bewusst reduziert in den kargen Gefängnisräumen inszeniert.
Nein, wer Tulln besucht, kommt an dem berühmtesten Sohn der Stadt nicht vorbei. Schieles Spuren kann man aber auch quer durch Tulln verfolgen: Der Schiele-Weg führt an 13 Stationen durch die Stadt. Wer möchte, kann gleich beim Museum mit dem Rundgang starten und die schwarzen Serpentin-Steine suchen (manchmal muss man etwas genauer schauen), auf denen sich ein QR-Code befindet, den man mit dem Smartphone scannen kann: Zu hören gibt es dann Originaltexte, zu sehen Bilder der Stadt aus Schieles Zeit. So soll man sich auf dem Hauptplatz in Schieles Kindheit zurückversetzt fühlen, als die Familie – sein Vater, Adolf Schiele, war als Bahnhofsvorstand ein angesehener Bürger – ihre Magd auf den Bauernmarkt auf dem Hauptplatz schickte. (Wer hier eine Pause braucht, ein Einkehrtipp: die Konditorei Wagner am Hauptplatz).
Früher Tod. Von hier aus sind es nur ein paar Minuten Fußweg zum Bahnhof Tulln, in dem sich im 1. Stock jene Wohnung befindet, in der Schiele seine Kindheit verbracht hat: Elf Jahre lang hat er mit seiner Familie in Tulln – mehr als ein Drittel seines Lebens, er starb bekanntlich früh, mit 28 – verbracht.
Eingerichtet sind die Räume mit historischen Möbeln aus Schieles Zeit. An den Wänden findet man Fotos seiner Familie, an Audio-Stationen kann man sich Berichte und Aufzeichnungen anhören. Und sich zurückversetzen in die Zeit, in der ein Bahnhof dank der damals hochmodernen Eisenbahn ein bedeutender Ort war.
Auf einem Fensterbrett – damals wie heute blickt man auf die Gleise – soll Egon gesessen sein und gezeichnet haben. Zu seinen ersten Zeichnungen als Kind zählten Eisenbahnen und Schienen. Der Block wurde ihm schnell zu klein, auch auf dem Boden malte er weiter – auch das ist hier nachempfunden. Von den frühen Skizzen ist nur wenig erhalten. ?
Infos
Schieles Geburtshaus befindet sich im ersten Stock im Bahnhof Tulln und ist täglich von 9 bis 20 Uhr geöffnet. (Eintritt: 2 €/Münzeinwurf)
www.schiele-geburtshaus.at
Das Schiele-Museum (Donaulände 28, Tulln) ist Di bis So von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt Erw.: 5,50 €. Jeden 2. und 4. Sonntag im Monat gibt es um 13 Uhr eine Führung. www.schielemuseum.at
Auch auf der Garten Tulln gibt es einen Egon-Schiele-Garten tägl. 9 bis 18 Uhr www.diegartentulln.at
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2019)