Thomas Müller spricht über die Ursachen von Burn-out, die individuelle Sinnfrage in Lebenskrisen, Suizidprävention und die „psychologische Kaskade der Aggression“.
Geschichten des Jahres. Dieses Interview ist am 22. Juni 2019 erschienen.
Die Presse: Welche ganz konkreten Ratschläge haben Sie für jemanden, der in einer tiefen Lebenskrise steckt? Und zwar so tief, dass er oder sie sogar schon Suizidgedanken hat?
Thomas Müller: Für solche Situationen gibt es keine Standardantwort. Denn auch, wenn es am Ende aufs Gleiche hinausläuft, macht es einen großen Unterschied, ob es einen Todesfall in der Familie zu beklagen gibt, jemand eine berufliche Krise durchstehen muss oder ein Suchtproblem hat. Für eine vernünftige Beurteilung mit einem darauf aufbauenden Ratschlag muss unterschieden werden zwischen Ursache und Wirkung. Aus der Traumatologie-Forschung wissen wir: Das Schlimmste ist es, sein eigenes Kind zu Grabe tragen zu müssen. Hier ist die Hilfestellung, die man leisten kann, eine ganz andere als bei jemandem, der in einer selbst verschuldeten oder zumindest mitverschuldeten Krise steckt. Beispielsweise bei jemandem mit einem Suchtproblem.
Wie kann man den Verlust des eigenen Kindes überwinden?
Das Wichtigste ist aufzuzeigen, dass das Leben selbst in dieser Situation einen Sinn haben kann – nicht im Großen, sondern im Kleinen. Nichts macht einen Menschen so stark wie das Gefühl, für sich und seine Tätigkeit einen Sinn zu erkennen. Das kann sein, dass er seinen Geschwistern oder Kindern hilft, über den Verlust hinwegzukommen. Bei einem Unfall könnte der Sinn darin gesehen werden, nach Wegen zu suchen, solche Unfälle künftig zu verhindern.
Und wie kann die Hilfestellung bei jemandem mit einem Suchtproblem aussehen?