Spurensuche beim Verfassungsschutz

(c) Michaela Bruckberger
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Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) soll die Integrität von Staat und Demokratie wahren. Aber wie funktioniert das eigentlich? „Die Presse“ war im Haus am Ring zu Gast.

Das schmucklose Haus am Wiener Schubertring beflügelt seit Jahren die Fantasie von Journalisten, Bürgern und sachkundigen Passanten. Hier, hinter der ungepflegten Fassade eines Nachkriegsbaus, ist der österreichische Staatsschutz zu Hause, das sogenannte Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Derzeit sorgt das Amt mit wilden Gerüchten über angebliche Packelei mit Rechtsextremen, Geheimnisverrat und Beweismittelfälschung für Schlagzeilen. Was tut eigentlich eine Behörde, die sich keiner geringeren Aufgabe verschrieben hat, als die Demokratie höchstselbst zu schützen? „Die Presse“ war im Haus am Ring auf Spurensuche.

„Wir beobachten“, sagt der Direktor des BVT. Peter Gridling, ein gebürtiger Osttiroler, leitet das Amt seit dem Jahr 2008. Und die Sache mit dem Beobachten nehmen er und seine Mitarbeiter in jeder Hinsicht wörtlich. Das beginnt am Gehsteig vor dem Gebäude, in dem alle Straßenlokale leer stehen, was – nebenbei bemerkt – in der Wiener City fast schon auffällig unauffällig ist. Neugierig spähen zwei Überwachungskameras auf den Eingangsbereich. Am Türschild steht kein Name, wer Vorsprechen will, durchläuft Sicherheits- und Ausweiskontrollen.

In den sechs Stockwerken des Gebäudes, dessen Jalousien auch tagsüber oft heruntergelassen sind, laufen Informationen aus der ganzen Welt zusammen. Das Livebild vom Gehsteig vor der Tür gehört auch dazu, zumal immer wieder Demonstranten den einzigen Zugang zum Gebäude blockieren. Doch die „Beobachtungen“, wie der Chef es nennt, reichen deutlich weiter. Das BVT ist nämlich der zentrale Ansprechpartner für Geheimdienste aus aller Welt.

Auf welche Informationen stützt Deutschland seine aktuelle Terrorwarnung? Was weiß Pakistan über den österreichischen Teilnehmer X in einem bestimmten Terrorcamp? Wie nahmen türkische Nationalisten das Interview ihres Botschafters in Wien auf, der einerseits die österreichische Integrationspolitik, andererseits das Verhalten vieler Landsleute kritisiert hatte? Am Schubertring laufen all diese Informationen zusammen. Vieles gelangt über gesicherte Datenleitungen hierher in die oberen Stockwerke des Gebäudes. Dabei sitzen die zuständigen Beamten in nüchternen Büros mit PVC-Boden, starren auf Monitore und lesen streng vertrauliche Berichte der CIA aus Pakistan.

Mit Agenten am Konferenztisch.
Manchmal kommt der eine oder andere Agent dann auch persönlich vorbei, weist sich an der Schleuse mit Diplomatenpass aus, spaziert über den dicken Teppich im ersten Stock und setzt sich – gemeinsam mit den zuständigen Abteilungsleitern – an einen dunkelbraunen Konferenztisch aus Holz. Dort tauschen dann Beamte der Republik Österreich mit ausländischen Geheimagenten Informationen zur Sicherheitslage aus. Daraus entstehen Gefährdungsanalysen für Behörden, Politiker, Parteien, sensible Infrastruktur oder einzelne Bürger.

Doch der Verfassungsschutz wertet – gemeinsam mit seinen Landesstellen – nicht nur die Informationen ausländischer Dienste aus, sondern erforscht auch im Inland das Potenzial von Gefahren, die von politisch oder weltanschaulich motivierter Kriminalität ausgehen. Insgesamt sind damit 500 Personen beschäftigt, die keineswegs – und schon gar nicht, wenn sie als verdeckte Ermittler tätig sind – alle am Schubertring ein- und ausgehen. Das wäre zu einfach. Hierfür gibt es andere, tatsächlich geheime Standorte in Wien. Dabei setzt das BVT auch Informanten aus der jeweiligen Szene selbst ein, die dann ihr Wissen für Geld an die Republik verkaufen. Je nach Gehalt der Informationen kann das dem Amt dann einige Tausend Euro (und mehr) wert sein.


Geheimes Budget.
Und hier beginnt das Dilemma. Die Arbeit des BVT findet in einem politischen Minenfeld statt, das insbesondere die parlamentarische Opposition besonders sensibel beobachtet. Ermittlungen in ideologisch extremen Kreisen erfordern äußerste Diskretion. Nach außen hin wirkt das dann intransparent. Das Budget des Hauses wird aus Sicherheitsgründen nirgendwo ausgewiesen. Der Wert gekaufter Informationen ist nicht immer nachvollziehbar. Eine Kritik, die auch schon der Rechnungshof formulierte und die viel zur öffentlichen Legendenbildung über das verschwiegene Amt beiträgt.

Nicht zuletzt deshalb wird das BVT gerne als „Geheimdienst“ bezeichnet. Was es nicht ist. Wer hier arbeitet, hat theoretisch nicht mehr Befugnisse als jeder uniformierte Schutzpolizist von der Straße. Praktisch stellt sich die Sache dann doch anders dar. Nur das BVT und seine Landesstellen nutzen die sogenannte „erweiterte Gefahrenerforschung“, die die präventive und verdeckte Überwachung von Personen und Gruppierungen ermöglicht, die eine (angebliche) Gefahr für das Land darstellen. Darunter fallen fanatische Tierschützer genauso wie Neonazis. 2009 waren im Innenministerium 39 Fälle von „erweiterter Gefahrenerforschung“ aktenkundig, zwei Drittel davon gegen islamistische Extremisten, die u.a. in Terrorcamps Trainingsprogramme durchliefen.

Und: Als einzige Exekutivbehörde der Republik darf das BVT auch Informationen der beiden Geheimdienste des Bundesheeres nutzen, die ihre Aufklärungsarbeit fernab jeglicher richterlicher Kontrolle verrichten. Dabei erfahren die Beamten oft Dinge, die sie nicht einmal dann verwenden dürfen, wenn sie zu Unrecht eines Vergehens bezichtigt werden. Peter Gridling drückt das dann so aus: „Bei den meisten Vorwürfen von außen stehen wir mit dem Rücken zur Wand. Der Beruf bringt es mit sich, dass wir uns öffentlich nicht so dazu äußern können, wie wir das gerne würden.“

Amt meidet das Rampenlicht. Dabei ist das BVT am ungeliebten Geheimdienst-Nimbus selbst nicht ganz unschuldig. Anders als andere Einheiten legt man hier keinen Wert auf Öffentlichkeit, Bürgerkontakt und Transparenz. Die Auftritte vor Medien beschränken sich auf den einmal jährlich präsentierten Verfassungsschutzbericht. Eine Webseite, wie sie der deutsche Verfassungsschutz oder der geheime Bundesnachrichtendienst (teilweise sogar zur Personalrekrutierung) betreiben, sucht man vergeblich. Das BVT spricht seine Mitarbeiter lieber diskret an. Vor allem (Computer-)Techniker und Islamwissenschaftler sind begehrt.

Im Haus am Ring dürfen sich dann nur die wenigsten frei bewegen. Kaum einer hat zu allen sensiblen Bereichen Zutritt. Jedes Stockwerk ist mit einem eigenen Zutrittssystem gesichert, auf den Gängen und im Stiegenhaus hängen Kameras. Auch der Hinterhof zum Nachbarn ist mit Stacheldraht gesichert.

Manchmal jedoch wird selbst der österreichische Verfassungsschutz Opfer von gewöhnlichen Kriminellen ohne terroristischen Hintergrund: Vor zwei Jahren stahlen Unbekannte einem Beamten seinen Dienst-BMW, den er während einer Observation kurz verlassen hatte.

STAATSSCHUTZ IN ÖSTERREICH

Entstanden ist das BVT im Jahr 2002. Es geht auf die Zusammenführung der Staatspolizei, der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) und der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (EDOK) zurück. Es untersteht dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und gliedert sich in BVT und neun Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT). Peter Gridling ist seit 2008 Direktor der Zentrale in Wien und folgte Gert-René Polli, einem ehemaligen Offizier des Heeres-Auslandsgeheimdienstes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2010)

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