Semmeringtunnel: Gutachten wackeln

Semmeringtunnel Gutachten wackeln
Semmeringtunnel Gutachten wackeln(c) APA (ROBERT JAEGER)
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38 Gutachter haben in den vergangenen Jahren Expertisen zu dem Tunnelprojekt erstellt. 14 davon stehen in einem Nahverhältnis zu den ÖBB. Das könnte den Baubeginn um Jahre verzögern.

Darf ein Techniker, dessen berufliche Existenz zumindest teilweise von Aufträgen der Bundesbahnen abhängt, gleichzeitig auch unabhängiger Gutachter in einem Verfahren sein, das über eines der größten Bauprojekte der ÖBB entscheidet? Nein, sagen Vertreter von Umweltorganisationen – und hoffen, mit dieser Argumentation das Verfahren für den Bau des Semmeringbahntunnels zu kippen.

38 Gutachter haben in den vergangenen Jahren Expertisen zu dem mit 2,8 Milliarden Euro an Kosten veranschlagten Tunnelprojekts zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag erstellt, das Reisenden zwischen Wien und Graz ab 2024 rund 30 Minuten Zeit im Zug ersparen soll: Gutachten, deren Inhalt derzeit im Rahmen eines UVP-Verfahrens den Ausschlag darüber geben könnten, ob der Tunnelbau wie geplant 2012 starten kann.

Ein Drittel ÖBB-nahe

Bei mehr als einem Drittel von ihnen reklamiert jetzt Josef Lueger, Vertreter der Umweltorganisation „Alliance for Nature“ – sie war schon Mitte der 1990er-Jahre für das Scheitern des ersten Semmeringtunnelprojekts mitverantwortlich –, dass sie befangen seien und daher nicht als Gutachter tätig sein dürften. So hätten vier der 23 vom Infrastrukturministerium für die UVP bestellten Gutachter im Rahmen anderer Projekte Aufträge der ÖBB angenommen. Auch von den 15 Gutachtern, die sich die ÖBB nach dem Eisenbahngesetz selbst aussuchen durften, stünden acht schon länger in den Diensten der Bundesbahnen. Eine weitere sei sogar Angestellte der ÖBB, ein anderer direkt an der Planung des Semmeringtunnels beteiligt.

Am Ende seiner 140-seitigen Sachverhaltsdarstellung an das Ministerium, das dieser Tage am Abschluss des Verfahrens arbeitet, verlangt Lueger, die genannten Gutachter abzuberufen und ihre Expertisen zurückzuweisen.

Sollte die Verfahrensleitung diesem Vorschlag folgen, hieße das einen großen Schritt zurück für die Bauambitionen der Regierung: Die betroffenen Gutachten müssten neu erstellt werden, das UVP-Verfahren könnte über Jahre nicht abgeschlossen werden – weder Baubeginn 2012 noch die Fertigstellung 2025 wären zu halten.

Dass es so weit kommt, glaubt der Projektleiter der ÖBB, Gerhard Gobiet, nicht: Aus seiner Sicht sind die Kritikpunkte „vollkommen ungerechtfertigt“. Lueger sei einer der wenigen „fundamentalen Gegner“ des Semmeringtunnels, der jetzt, in der letzten Phase des Verfahrens, noch versuche, das Projekt aufzuhalten. Die Gutachter seien dagegen allesamt unabhängige Sachverständige, die teilweise schon mehrmals mit den ÖBB gearbeitet hätten. Die Bahn sei ein großes Unternehmen – es sei ganz natürlich, dass manche Spezialisten oft in Geschäftsbeziehung mit ihr stünden. „Ich kann aber ausschließen, dass ein Gutachter bei der Planung des Semmeringtunnels beteiligt war“, sagt Gobiet im Gespräch mit der „Presse“.

Bescheid noch im März erwartet

Das könnte aber zu wenig sein, um die Vorwürfe der Projektgegner zu entkräften, warnt Heinz Mayer, Dekan der juridischen Fakultät der Universität Wien: „Bei den vom Ministerium bestellten Gutachtern reicht nach § 7 AVG schon der Anschein, dass eine Befangenheit vorliegen könnte, um einen Gutachter auszuschließen“, erklärt Mayer – und das sei bei Sachverständigen, die in ständiger Geschäftsbeziehung zu den ÖBB stünden, wohl gegeben. „Wenn es in Österreich keinen geeigneten Sachverständigen gibt, müsste man eben im Ausland suchen“, so Mayer. Ähnliches gelte für die Bestimmungen im Eisenbahngesetz.

Am Zug ist nun das Infrastrukturministerium, das auf Basis der von den ÖBB eingereichten Pläne und der Gutachten über den Tunnel entscheiden muss. Derzeit seien die Beamten damit befasst, alle Einwände zu bearbeiten, sagt eine Sprecherin – auch über jene der „Alliance for Nature“. Ein Bescheid wird in diesem Quartal erwartet.

Auf einen Blick

2012 wollen die ÖBB mit dem Bau des Semmering-Basistunnels beginnen, ab 2024 sollen Züge zwischen Wien und Graz dank ihm 30 Minuten schneller sein.

Im März will das Infrastrukturministerium das UVP-Verfahren für den Tunnel abschließen. Kritiker bezeichnen mehr als ein Drittel der Sachverständigen als befangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2011)

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