Die Rekorde des Tierschützerprozesses

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Am 2. Mai endet im Landesgericht Wiener Neustadt einer der größten und zugleich auch einer der skurrilsten Strafprozesse, die es in Österreich gegenwärtig gibt. Ein „Presse“-Streifzug in Zahlen.

Wien/Wiener Neustadt. Wenn am 2.Mai im Tierschützerprozess die Urteile verkündet werden, wird sich zeigen, ob man den „Mafia-Paragrafen“ auf Tierschützer anwenden kann. „Die Presse“ analysiert die wichtigsten Kennzahlen des Verfahrens

0 Schuldsprüche. Dies ist der vor ein paar Tagen bei den Plädoyers erhobene Anspruch der Verteidigung. Stefan Traxler, der für den Hauptangeklagten Martin Balluch, den Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, in den Ring steigt: „Es ist unmoralisch und verbrecherisch, einen Unliebsamen erst festzunehmen, und dann Belastendes gegen ihn zu suchen.“ „Es gibt keine kriminelle Organisation“, sagt Anwalt Josef Philipp Bischof – im Hinblick auf den zentralen Anklagepunkt. Die Polizei habe „gesucht, gesucht, gesucht – und nichts gefunden.“ Anwältin Alexia Stuefer über die angeklagten Tierschützer: „Sie widmen ihr ganzes Leben einem Ideal.“

13 Schuldsprüche. Das will Staatsanwalt Wolfgang Handler am 2. Mai, also in gut drei Wochen, auf seinem Habenkonto verbuchen. Nicht nur wegen des sogenannten Mafia-Paragrafen („Kriminelle Organisation“), sondern auch wegen anderer Delikte, wie etwa versuchter schwerer Nötigung oder – so paradox es anmuten mag – wegen Tierquälerei. Obgleich das Beweisverfahren keine klaren Schuldbeweise ergab, sorgte Handler für eine Riesenüberraschung: Er dehnte die Anklage sogar aus. Nun ist Martin Balluch, der derzeit wohl bekannteste Tierschützer Österreichs, infolge einer ihm vorgeworfenen Nerzbefreiung wegen Tierquälerei angeklagt.

15 Stunden Marathon. Das war der Zeitrekord an einem einzigen Verhandlungstag, aufgestellt vorigen Freitag, als um exakt 0:11 Uhr Richterin Sonja Arleth den Rollbalken herunterließ. Wenn diese, als Einzelrichterin, auch mehrfach überfordert wirkte, so hatte sie es auch nicht immer leicht: Tagelang prangte provokant eine Wahrsagerkugel auf dem Tisch der Angeklagten. Vor dem Gebäude ließen Tierschutzaktivisten aus Lautsprecherboxen das Edith Piaf-Chanson „Nein, ich bereue nichts“ erklingen, vor dem neben dem Richtertisch gelegenen Fenster schwebte ein übergroßer, pinkfarbener Luftballon, auf dem das Zertrümmern des Anklage-Paragrafen propagiert wurde. Ein Angeklagter verpasste sich einen neuen Look – an einem Tag, als der umstrittene linguistische Gutachter aussagte: Zum Gaudium einiger Zuseher imitierte er die „Stehfrisur“ des Sachverständigen.

16 Monate Einsatz einer Spionin. So lange war eine verdeckte Ermittlerin der Polizei in die Tierschützerszene eingeschleust. Als dies publik wurde, bekam die Frau auch gleich den Titel „Sexagentin“. Einer der Angeklagten gibt nämlich an, dass „Danielle Durand“, so der von der Polizei ersonnene Deckname der Beamtin, sich sosehr um enge Kontakte zur Szene bemühte, dass sie mit ihm intim geworden sei. Die Beamtin bestreitet das. Die „Sexgeschichte“ hatte Folgen: Um der – wohlgemerkt als Entlastungszeugin von den Angeklagten geladenen – Frau ein peinliches Wiedersehen im Gerichtssaal zu ersparen, durfte sie in einem abgesonderten Raum aussagen. Diese Sonderbehandlung ist normalerweise für Opfer von Sexualstraftaten vorgesehen.

35 Mann in einer Soko. Mit diesem respektablen Personaleinsatz ging eine Polizeisonderkommission zumindest zeitweise zu Werke. Kriminaldirektion Wien, Bundeskriminalamt und knapp ein Dutzend Beamte des Verfassungsschutzes waren im Einsatz. Man fuhr das „volle Programm“, große Lauschangriffe inklusive.

87 Verhandlungstage dauerte der Prozess bisher. Die Urteile werden also am 88.Tag gesprochen werden.

100 Gründe befangen zu sein. Einer der Angeklagten, der studierte Techniker Elmar Völkl, verfasste einen 100 Punkte umfassenden Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Der Umstand, dass Sonja Arleth, die de lege kurioserweise über ihre eigene (mögliche) Befangenheit zu entscheiden hat, sich selber – wenig überraschend – als „unbefangen“ sehen würde, wird in dem rechtsphilosophisch angehauchten Antrag schon als Befangenheitsgrund Nr. 100 vorweggenommen.

104 Tage hinter Gittern. Von 21.Mai bis Anfang September 2008 saßen neun der Beschuldigten in U-Haft. Ein zehnter Verdächtiger hatte das Gefängnis einige Zeit vorher, Mitte August, verlassen dürfen. „Das, was ich gemacht habe, würde ich morgen wieder machen“, gab sich Balluch kämpferisch, unmittelbar nachdem sich für ihn die Gefängnistore geöffnet hatten.

267 Verdächtige. So viele Personen, also gut 20-mal mehr als dann tatsächlich vor Gericht landeten, wurden ursprünglich von der Polizei überwacht.

278 plus „a“. Als „Mafia-Paragraf“ war und ist der Paragraf 278a Strafgesetzbuch („Kriminelle Organisation“, Strafdrohung bis zu fünf Jahre Haft) heftig umstritten. Weil der eigentlich zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität eingeführte Tatbestand unbestimmt formuliert sei, könne man ihn theoretisch gegen verschiedenste NGOs in Stellung bringen, lautet die Kritik.

481 als Spitzelkennung. Unter der Chiffre VP 481 hatte die Polizei auch eine Vertrauensperson (VP) in die Tierschützerszene eingeschleust. Sie deckte ebenso wie „Danielle Durand“ keine einzige Straftat auf.

7.000.000 Euro Kosten. So hoch schätzt Anwalt Stefan Traxler die Gesamtkosten des Verfahrens seit Start der Ermittlungen. Allein der linguistische Sachverständige, dem selbst die Richterin abspricht, die Materie durchgehend schlüssig erklärt zu haben, hat laut Verteidigung etwa 40.000 Euro geltend gemacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2011)

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