World Economic Forum: War da was?

World Economic Forum, Opec-Treffen: Warum die Wiener auf die Weltpolitik vor der Haustür gelassen reagieren.

Donnerstag, vergangene Woche: Auf den Stufen des Heldentors jausnen zwei Pharmaziestudentinnen und schauen beiläufig zu, wie das World Economic Forum (WEF) in der Hofburg zu Ende geht. Polizei ist nur mehr wenig da. Viele der angeforderten Beamten aus den Bundesländern wurden, nachdem die erwarteten massiven Ausschreitungen ausgeblieben waren, schon am Mittwoch nach Hause geschickt. Und auch die beiden jungen Frauen wirken mäßig aufgeregt. Sie wüssten auch gar nicht worüber – denn davon, was hier besprochen wurde, habe man „eher keine Ahnung, aber, was immer es war, es wurde eh über unserem Kopf entschieden“, sagt die eine.

Und damit etwas sehr Wienerisches. Denn mildes Desinteresse an internationalen politischen Zusammenkünften vor der Haustür hat hier Tradition, weil oder trotzdem es derer mehrere in Wien gibt. Vergangene Woche etwa fanden außer der Regionalkonferenz des WEF, die sich unter anderem mit der Energiepolitik Zentralasiens (Stichwort: Erdgas) beschäftigte, zwei weitere Veranstaltungen statt: das 159.Treffen der Opec, der Organisation der erdölexportierenden Länder, die hier ihren Sitz hat, und eine Konferenz der CTBTO, der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen. Während es das WEF auf 500 Demonstranten brachte, ging das übliche Opec-Treffen trotz von der Polizei erwarteter, aktueller Brisanz – Stichwort: „Arabischer Frühling“ – gerade einmal mit 100 Leuten vorüber, die gegen die Führung im Iran und Libyen demonstrierten. Bei der CTBTO scheiterte das Interesse vermutlich schon am Namen: CT-was?

Aber es geht nicht nur um Protest, auch Neugier an derlei Vorgängen ist – außer es kommen Politiker mit „Glamour“-Faktor à la Sarkozy samt Bruni nach Wien – enden wollend. Dabei werden dort Dinge beeinflusst, die die Österreicher am Stammtisch durchaus aufgeregt besprechen: etwa der Benzinpreis (die Opec bestimmt, wie viel Erdöl gefördert wird) oder Atomenergie (die IAEO, die internationale Atomenergie-Organisation, sitzt in Wien). Das wirft die Frage auf, woher diese Gelassenheit gegenüber solchen internationalen Treffen und den hier ansässigen Organisationen rührt. Und: wie diese zu bewerten ist – als weltbürgerlich oder doch eher provinziell?

Weder noch, sagt Reinhard Knoll, Soziologe an der Uni Wien. Vielmehr sei die „gutmütige Gleichmütigkeit“ der Wiener eine „relative Vernünftigkeit“. Als Land, das im Kalten Krieg zwischen den Blöcken gestanden sei, habe man gelernt, „das Handeln der globalen politischen Eliten wie das Wetter hinzunehmen – gut oder schlecht, man kann es nicht ändern“. Oder nüchterner formuliert: „Die Menschen sind überfordert, weil sie selbst keinen Einfluss auf die Geschehnisse haben.“ Je globaler das Thema, desto geringer werde die Chance zum Eingriff empfunden. Da ärgert man sich lieber über die damit einhergehenden Verkehrsbehinderungen.

Wenig Lust auf Protest.
Vielleicht ist Wien aber auch einfach zu konservativ für Protest? Ulrich Brand vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien würde das bejahen: „Es gibt hier keine Kultur des Straßenprotests. Man mäkelt lieber herum“, so der Deutsche. Und glaubt: „Wäre die IAEO in Berlin, dann ginge dort jetzt die Post ab.“ Einerseits. Andererseits herrscht auch in anderen europäischen Städten nicht permanentes Interesse an der Weltpolitik vor der Haustür – weder in Genf, das wie Wien UNO-Amtssitz ist, noch in Brüssel, dem EU-Hauptquartier.

Was auch mit dem abgekoppelten Eigenleben der Institutionen zu tun hat: Wenn etwa vor Opec-Konferenzen hundert internationale Wirtschaftsjournalisten den saudischen Energieminister durch noble Wiener Hotel-Lobbys verfolgen, bekommt das in Wien niemand mit. Wobei die Institutionen und Konferenzen betonen, dass sie die Bevölkerung gerne informieren würden: Das WEF etwa setzte während der Konferenz auf Social Media, und der IAEO kann man Fragen mailen. Die Konferenzen selbst, heißt es bei der IAEO, seien jedoch sehr technisch. Insofern wundere man sich nicht, dass es bei Laien wenig Interesse gebe.


Die Rolle der NGOs. Ob sich Laien für komplexe Themen erwärmen können, hängt auch von den NGOs ab. Denn sie bestimmen mit, wie viel Öffentlichkeit eine Konferenz bekommt: Sind etwa massive Proteste angekündigt, wird das Thema in den Medien – auch im Boulevard – ausführlicher behandelt. Da große Protestaktionen aber teuer seien und jahrelang geplant würden, sagt Brand, müssten die NGOs strategisch entscheiden, wo man Aktionen setzt. Beim Wiener WEF entschied man sich dagegen, obwohl man, sagt Brand, die Geschäfte mit Staaten, die Menschenrechte verletzen, hätte thematisieren können. Die Sozialistische Jugend, die doch demonstrierte, kassierte im Vorfeld eine Absage der Globalisierungskritiker von Attac: „Die wollten sich lieber auf den G8-Gipfel in Paris konzentrieren“, sagt SJ-Vorsitzender Wolfgang Moitzi. Man habe zwar vor zehn Jahren bei der WEF-Konferenz in Salzburg viel demonstriert, so Christian Felber von Attac Österreich, „aber es ist halt dauernd irgendwo irgendetwas“. Man versuche effizient zu arbeiten, heißt es auch bei Greenpeace Österreich – Dauerproteste gegen Organisationen, bei denen man nichts erreiche, wie Opec oder IAEO, seien einfach nicht sinnvoll.

Die „linke Szene“ gesamt schätzt Erich Zwettler, Leiter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, im Vergleich zu anderen europäischen Städten als „sehr ruhig“ ein: „Themen wie Globalisierung, die anderswo für starke Aufregung sorgen, finden wenig Beachtung.“ Er führt das darauf zurück, dass es „uns eigentlich relativ gut geht, auch wenn man das nicht hören will“. Bei den Themen Antifaschismus und Abschiebungen hingegen gelinge es der linken Szene, zu motivieren.

Sicherheit als Imagebonus. Die Wiener Berechenbarkeit hat aber auch Vorteile: monetäre. Wien wurde von der International Congress and Convention Association zum sechsten Mal zur weltweiten Kongresshauptstadt gekürt. 2010 tagten hier 154 internationale Kongresse (viele aus dem Bereich der Humanmedizin), jährliches Highlight ist der Radiologenkongress mit 20.000 Teilnehmern. Auch diese Kongresse bekommt kaum ein Wiener mit, und obwohl die Veranstaltungen kein „Provokationspotenzial“ haben, schätzen die Veranstalter doch die Sicherheit und reibungslosen Abläufe der Stadt. Insgesamt bringen Kongresse (inkl. nationaler und kleiner Firmenkonferenzen) 768 Mio. Euro Wertschöpfung. Auch die Amtssitze der internationalen Organisationen zahlen sich laut Außenministerium aus – mit 400 Mio. Euro pro Jahr. Wobei internationale Konferenzen auch kosten: Für die Sicherheit vor Ort ist zwar der Veranstalter zuständig, für den öffentlichen Raum aber die Polizei, und die zahlt letztlich der Steuerzahler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2011)

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